Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
nichts Besseres zu tun.« Dann merkte ich,
daß ich noch immer grinste wie ein Idiot. Ich kam mir vor, als hätte ich mich lächerlich gemacht.
Eine Stunde später klopfte Mr. Bradecki an meine Tür. Er trug noch immer seinen dunkelgrauen Nadelstreifenanzug, hatte aber jetzt eine Aktentasche in der Hand. Ich führte ihn direkt ins Bad und zog an der Kordel, um ihm zu zeigen, daß das Licht nicht funktionierte. Er setzte die Abdeckung wieder auf die Fassung, zog an der Kordel, und das Licht sprang an. Dann nahm er die Abdeckung noch einmal ab und zeigte mir die Metallplättchen, die den Kontakt herstellten. Ich schüttelte den Kopf, und er drückte mir schnell den Ellbogen. Bis jetzt hatten wir noch kein einziges Wort gewechselt, und ich fragte ihn, ob er einen Kaffee wolle. Er nickte und trat ans Fenster, das auf die Straße hinausging. Dort stand er nun, sehr aufrecht, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Schultern gestrafft. Er hatte sich sehr forsch bewegt, wie um zu zeigen, wie jugendlich er noch war.
»Leben Sie schon lange in London?« fragte ich.
Er starrte weiter auf die Straße hinunter, als würde er auf jemanden warten. »Seit dem Krieg«, sagte er. »Immer hier in London. Das ist jetzt meine Heimat.« Bei jemandem mit weniger Selbstbewußtsein hätte seine Stimme einschmeichelnd geklungen.
Ich wollte ihn fragen, ob er je in sein Heimatland zurückgekehrt sei, überlegte es mir dann aber anders. In letzter Zeit hatten die Medien viel über Polen gebracht, und ich wußte deshalb, da steckte viel zuviel dahinter, als daß sich das Thema für eine höfliche Unterhaltung geeignet hätte, eine ganz besondere Art der Hoffnungslosigkeit und des Elends, die nicht vermittelt und auf keinen Fall geteilt werden konnten. Lieber nicht nachfragen, und doch, als er sich auf mein Sofa setzte und laut seinen Kaffee schlürfte und dabei die Tasse umklammerte, als wollte ich sie ihm wegnehmen, da wußte ich plötzlich nichts anderes zu sagen, denn es erschien mir als das einzige, was ihm wirklich wichtig sein konnte, die Geschichte des Landes, die sie wohl alle mit sich herumschleppten wie Stapel ungewollten Gepäcks.
»Das ist eine lange Zeit. In letzter Zeit kommt ja viel über Polen in den Nachrichten. Es muß Sie glücklich machen, daß ...«
Er starrte in seinen Kaffee, als wollte er die Zukunft herauslesen, und ich ging zum Fenster und wünschte mir, ich hätte etwas deutlich weniger Triviales oder etwas noch sehr viel Trivialeres gesagt.
»Ja«, sagte er schließlich. »Aber nicht glücklich. Nie glücklich. Schlimm auf andere Art, weil da früher mal Hoffnung darin lag. Hoffung ist die Mutter der Narren, heißt es bei uns. Die jungen Leute denken immer nur daran, im Westen Geld zu machen. Geld anstelle von Sklaverei. Geld kann man nie genug haben. Der neuen Politik, der traut man auch nicht. Demokratie heißt, daß andere Leute Macht, Geld, Überlegenheit wollen.«
Ich drehte mich um, und sein Gesicht war angespannt, als machte es ihm Mühe, seine Hände stillzuhalten. Er saß leicht vornübergebeugt und mit hängenden Schultern da, und seine Lippen waren schmal und nach hinten gezogen, als wollte er, daß ich ihn jetzt als alten Mann sah, dessen Zeit vorüber war.
»Ich schätze mal, die Politik ist überall dieselbe«, sagte ich. »Es gibt andere Sachen, über die man sich Gedanken machen muß, wie ... na ja, eigentlich alles.«
Er schaute mich erschöpft an. »Verzeihen Sie mir, Mr. Ripple, aber es ist nicht dasselbe. Sie haben Demokratie wie die Landschaft, wie die Natur, wie einen großen Spielplatz ...«
»Um ehrlich zu sein, darüber habe ich noch nie nachgedacht.«
»Trotzdem, trotzdem.« Er klang jetzt wütend, aber auf sich selbst. »Wir haben keine Erfahrung mit der Demokratie. Sie war wie eine Vision der Religion im Leiden, etwas, für das man beten, das man anbeten kann, wie der Himmel auf Erden, wie heißt das bei Ihnen, ein Slogan. Und wie in einer Religion heißt es jetzt, es gibt nur eine Wahrheit, einen Blickwinkel. Den unseren. Ob Christ oder Kommunist, das läuft aufs gleiche hinaus. Wir glauben, daß alle Menschen gleich sein sollten, wie vor Gott. Verstehen Sie? Alle wollen nur, daß sie gesagt bekommen, was sie tun sollen, wie von einem Priester oder vom Parteichef. Demokratie ist Erlösung, nicht verantwortlich sein für das eigene Leben. Also sehnen wir uns nach einem Messias, der Versprechen bringt, als wären sie die Hoffnung, die wir nie hatten. Auf dieser Welt
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