Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Morgens putzt sie meistens die Häuser anderer Leute. Sie will sich immer unterhalten, vor allem über ihre Katzen, von denen sie vier hat. Ich weiß das, weil sie mir bei jeder unserer Begegnungen von den Krankheiten und Schrullen jeder einzelnen erzählt. Sie kommen mich oft besuchen, ich habe deshalb nicht das Bedürfnis, mir eine eigene anzuschaffen. Sie entschuldigt sich für sie, obwohl ich immer sage, ich habe sie gern bei mir, was auch stimmt. Sie ist
ine außerordentlich fröhliche Frau, auch wenn sie mir von ihrem »entschlafenen Gatten« erzählt. So nennt sie ihn. Sie gibt ihm nie einen Namen. »Ich nenne ihn so, weil er schon im Leben ein großer Schläfer war. Kam sogar zu unserer Hochzeit zu spät, weil er verschlafen hatte. Haben Sie je gehört, daß der Bräutigam nach allen anderen den Mittelgang daherkommt? Hat mindestens vier Jobs deswegen verloren. Bei der letzten Zählung. Er kam einfach in der Früh nicht aus dem Bett. Die beste Zeit des Tages, nannte er das. Bringt doch nichts, sie zu vergeuden, indem man wieder müde wird.«
Sie hat einen Sohn, der in Australien verheiratet ist und den sie einmal besuchte. »Ich war im Weg, das merkte ich deutlich. Wußte einfach nicht, wo ich mich hinpacken sollte. Ich hielt sie für ein bißchen herrschsüchtig, um Ihnen die Wahrheit zu sagen. Er stand ziemlich unter dem Pantoffel. Eines Tages habe ich ihn gefragt: >Sag mal, wer hat in diesem Haushalt eigentlich die Hosen an?< Sie bekam das mit. Und das war’s dann. So viel zu Australien. Kann nicht behaupten, daß ich die Australier besonders ins Herz geschlossen hätte. Sie war Australierin, wohlgemerkt ...«
Sie erzählt mir diese Sachen im Vorübergehen, wenn wir uns auf der Straße begegnen oder zufällig zur selben Zeit in unsern Gärten sind. »Ach, da sind Sie ja, Mr. Ripple«, so begrüßt sie mich, als wäre es für sie eine freudige Überraschung, mich zu sehen. Ich versuche, ihr aus dem Weg zu gehen — wenn ich sie aus dem Haus kommen sehe, bleibe ich drinnen, bis sie verschwunden ist. Aber ich mag sie. Ich mag sie sehr. Auch ihre Katzen. Sie hat einen beruhigenden Einfluß auf mich. Diese ganze übersprudelnde Redelust. Sie erwartet nichts von der Welt. Wie sie selber sagt, sie nimmt das Leben so, wie es kommt. Und wenn es anfängt, sich zu verabschieden, nimmt sie das auch hin. Ich habe noch nie gesehen, daß sie die Straße sehr weit hinuntergeht, weil sie unterwegs immer jemanden findet, mit dem sie reden kann. Einmal sah ich sie sogar tief in ein Gespräch mit Mrs. Felix versunken, oder genauer, sie redete, und Mrs. Felix hörte zu.
Einmal sagte sie zu mir: »Unser Mr. Badgecock ist sehr interessant, mit seinen Zigarettenbildchen, die er sammelt.«
Ich frage mich, was sie den Leuten sagt, was sehr interessant an mir ist. Sie lädt mich nie zu sich ein und ich sie nicht zu mir. Wenn eine ihrer Katzen sich auf meinem Bett oder sonstwo schlafen gelegt hat, trage ich sie behutsam hinaus. Aber wie das auch sein mag, meine Immobilienmaklerin hätte vermutlich, aus unterschiedlichen Gründen, von meinen beiden Nachbarn einen noch besseren Eindruck gehabt als von mir. »Ich bin immer da, wenn Sie mich brauchen«, sagt Mrs. Hirst. Mr. Badgecock würde es nicht im Traum einfallen, so etwas zu sagen. Aber es ist gut zu wissen, daß auch er da ist, wenn man ihn braucht. Ich hoffe, die beiden denken so ungefähr auch über mich.
KAPITEL DREI
D as Millennium wird nun immer mehr zu einem Medienereignis. Ich vermute, es wird irgendeine Veranstaltung in der Nachbarschaft geben, die zu besuchen ist, wahrscheinlich bei Mrs. Felix’ Leuchtfeuer. Ich meine, es spricht aber auch etwas dafür, die Uhr ganz allein schlagen zu hören — um sich auf den Tag vorzubereiten, wenn die Uhr endgültig aufhört und plötzlich gar nichts mehr ist, wofür etwas spricht. Ein Glas Champagner vor dem Spiegel zu erheben — sich selbst Glück zu wünschen und diesen Wunsch erwidert zu bekommen — wirkt irgendwie lachhaft und selbstbetrachtend. Oder auch nicht, wenn man bedenkt, wieviel Zeit wir darauf verwenden, uns selbst zu betrachten oder uns darüber den Kopf zu zerbrechen, wie andere uns betrachten, wobei wir nicht wollen, daß wir lachhaft wirken oder als hätten wir eine zu hohe Meinung von uns selbst. Wir tun das beständig, gäbe es also einen besseren Zeitpunkt dafür als den Beginn des neuen Jahrtausends, so daß wir lachhaft nur für uns selber aussehen und gleichzeitig eine hohe Meinung von uns haben,
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