Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
gemeint.«
Sie drehte sich bereits um, deshalb sah ich ihr Gesicht nicht mehr. Sie wollte es nicht. Sie hatte etwas Nettes über mich gesagt. Natürlich genoß ich das, bis auf die flüchtige Erleichterung, die ich dabei an ihr festgestellt hatte: absolut nichts Erschreckendes an ihm, alles in allem recht freundlich ...
Ich glaube, ich habe schon einmal bemerkt, daß ich auf andere absolut neutral wirke. Und dem stehe ich ziemlich neutral gegenüber. Stellung zu beziehen ist nicht meine Sache, allerdings ist es mir lieber, als nett denn überhaupt nicht angesehen zu werden —
wenn eine Stellung, dann am liebsten eine gesicherte. Langsam, den Ganghebel auf Neutral, den Hügel hinunterrollen. Unnötig, den Gang einzulegen, mich irgendwie herauszuputzen ... So ungefähr dachte ich, während ich hauptsächlich bedauerte, daß ich vorschnell über sie geurteilt hatte, und mit ziemlicher Sicherheit unfair — wie auch bei Maureen, bei ihr vielleicht sogar noch mehr, indem ich diesen Vergleich anstellte. (Die meisten von uns schätzen die Leute bei der ersten Begegnung falsch ein, und zwar sehr falsch — nette Leute zumindest oder diejenigen, die sich später als solche erweisen. Bei Scheißkerlen scheint das anders zu sein: Plaskett zum Beispiel, der sich von Anfang an als solcher darstellte. Können die wirklich glauben, daß man sie mag, wenn man sie erst einmal kennengelernt hat? Oder ist es ihnen scheißegal, wenn Sie mir das Wortspiel gestatten? Nette Leute werden gern gemocht und mögen gern andere. Mrs. Plaskett war sehr nett, soweit ich mich erinnere. Sie mochte ihren Gatten mit Sicherheit. Sie konnte ihn unmöglich für einen Scheißkerl gehalten haben. Und ihre Kinder auch nicht. Ebensowenig wie seine Eltern. Vielleicht findet man eher etwas Nettes an Scheißkerlen denn etwas Beschissenes an netten Leuten. Man würde jeden bei der ersten Begegnung mehr oder weniger richtig einschätzen, wenn der Unterschied nur darin bestünde, wie wichtig es ihnen zu sein scheint, ob sie gemocht werden oder nicht. Natürlich lernt man die meisten Leute überhaupt nie besser kennen. Wie nett oder wie beschissen sie sind, müssen andere herausfinden, und auch die können nett oder ekelhaft beschissen sein ...)
Wenn sie statt dessen einen meiner Nachbarn angetroffen hätte, dann hätte sie auch an ihm nichts Störendes gefunden. Mein Haus hat die Nummer 13. In 15 lebt Phil Badgecock, ein seit langem pensionierter Postbeamter. Es ist überraschend, wie wenig ich bis jetzt mit ihm gesprochen habe. Als wir uns das erste Mal begegneten, sagte er mir, daß es, ehrlich gesagt, über ihn nicht viel zu erzählen gebe, eigentlich rein gar nichts. Er hatte den Großteil seiner beruflichen Laufbahn im Sortiersaal verbracht. Postbote war er nie gewesen. Und über das Sortieren von Post kann man
wirklich nicht viel sagen, auch mit der neuen Technologie und so. Es waren die Leute, die von Tür zu Tür gingen, die Geschichten zu erzählen hatten. Sein Hobby, erzählte er mir, sei das Sammeln von Streichholzschachteln und Bildchen berühmter Kricket-Spieler, die es früher in Zigarettenpackungen gab, und das bringt einen, was eine Unterhaltung angeht, auch nicht sehr weit. Morgens macht er meistens einen Spaziergang am Strand, egal wie das Wetter ist, und den Rest des Tages scheint er fernzusehen. Beziehungsweise, ich sehe den Apparat laufen, sooft ich vorbeigehe. Seine Frau, berichtete er, habe ihn wegen eines Paketzustellers verlassen, als sie erst ein Jahr verheiratet waren, und seitdem habe er keine große Lust mehr auf die Ehe.
»Da gab es also nichts mehr zu sortieren?« fragte ich.
»Wenn ich ein Pfund bekommen hätte für jedesmal ...«, erwiderte er, aber ohne Groll.
Am Ende sagte er: »Kann sehen, daß Sie zu denen gehören, die lieber für sich bleiben. Habe diese Bücher durchs Fenster gesehen, ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel. Und die klassische Musik. Na ja, ich bin genauso. Ein Mann ganz nach meinem Geschmack. Ich meine jetzt weniger die Musik. Wie gesagt, ich war nie einer, der von Tür zu Tür geht.«
Er grüßt immer freundlich und läßt eine Bemerkung übers Wetter fallen. Er bummelt nicht herum. Er hat bis jetzt kein Interesse daran gezeigt, was ich in meinem Leben gemacht habe. Er ist, kurz gesagt, ein idealer Nachbar, völlig ohne jede Spur von Nachbarschaftlichkeit.
Meine Nachbarin auf der anderen Seite ist das genaue Gegenteil, aber ebenfalls eine ideale Nachbarin. Emily Hirst heißt sie.
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