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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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damit beschäftigt hatte, ob sie mich glücklich machte. Und jetzt ... wie verhärmt sah sie aus, weit über ihr Alter hinaus. Der Wind blies ihre Haare auseinander, eine kahle Stelle wurde sichtbar, rosa an den Rändern, grau wie Stein. Sie schaute mich weiter an. Auch ihre Augen, die früher so dunkel gewesen waren, schienen grau zu werden. Diese selbstsichere, gescheite Frau nun so verletzlich. Ich schämte mich. Ich wollte eben sagen, wie leid mir alles tue, als sie meinen Arm berührte.
    Ihre Stimme klang jung und zögerlich, wie damals am Anfang. »Es tut mir so leid, Tom. Ich sollte nicht ...«
    Ich konnte nicht ebenfalls sagen, daß es mir leid tue, nicht jetzt. Sie hatte wie immer das letzte Wort. Ich konnte nur den Kopf schütteln. Immerhin legte ich den Arm um sie und drückte sie.
    So endete unsere Begegnung. Ich sah ihr nach, wie sie auf der Uferpromenade zum Bahnhof ging, eine kleine, zerbrechliche
Gestalt, die Mühe hatte, gegen den böigen Wind anzukommen. Rechts unterhalb von ihr genoß eine Familie an einem kalten, verlassenen Strand einen Sommerurlaub, immer wieder liefen sie ins Wasser, planschten, alberten herum und bauten eine Sandburg, bevor die Flut hereinkam. Sie drehte sich um und winkte. Eine große Klarheit lag in dieser Bewegung. Es war fast Trotz. Ihr Mund öffnete sich, als würde sie etwas rufen. Sie war schon so weit entfernt, daß ich nicht sagen konnte, ob es nur ein sehr breites Lächeln war. Die Klarheit war zeitlos, obwohl das alles doch mit dem Vergehen der Zeit zu tun hatte. Wieder habe ich keinen Boden mehr unter den Füßen, plansche im Flachwasser. Aber es war wahrscheinlich auch Liebe, was ich in diesem Augenblick für sie empfand, eine Art von — ein gegenseitiges Verzeihen und Verstehen und eine Ahnung davon, wie wir einmal waren, zusammen. Auf meiner nächsten Weihnachtskarte könnte ich Annelise berichten, daß Liebe mit Sicherheit nicht alles ist, sondern daß sie in vielen Formen und Größen daherkommt und sie immerhin etwas ist, wenn in den meisten Fällen sonst rein gar nichts ist.
     
    Gestern vormittag kochte ich mir eben ein spätes Frühstücksei, als es an der Tür klopfte. Eine Frau stand dort, die ich noch nie gesehen hatte. Sie trug ein marineblaues Kostüm mit Nadelstreifen, einen nach Seide aussehenden Schal mit Blumenmuster und sehr große, ovale, blaue Ohrringe, von denen sie eben einen befummelte, wobei ihre makellosen, leuchtendroten Fingernägel ihn trotz des hellen Sonnenlichts beinahe grau wirken ließen. Sie hatte sich auch viel Mühe mit ihrem Gesicht gegeben, so daß man unmöglich sagen konnte, wie es im Naturzustand aussehen würde. Die Fingernägel paßten nicht ganz zu den Lippen, aber das sollten sie vielleicht auch gar nicht. Ihre Haare waren mattblond, und offensichtlich kam sie gerade vom Friseur, denn sie wölbten sich um ihren Kopf wie etwas frisch aus dem Ofen. Natürlich bemerkte ich zu dem Zeitpunkt nur sehr wenig von alldem, oder nur flüchtig. Mein erster Gedanke war, daß sie zu fein für unsere Straße war und sich wahrscheinlich in der Adresse geirrt hatte. Auf keinen Fall war sie eine Bezirkskrankenschwester oder Fußpflegerin.
Irgend etwas mit Kosmetik oder Public Relations oder beides. Ich achtete vorwiegend auf ihre Augen, wie es die meisten tun. Ich kann mich jetzt an ihre Farbe nicht erinnern, nur daß mich die sorgfältigen Verschönerungen um sie herum plötzlich an Maureen erinnerten: Nimm mich so, wie du mich findest, das ist das Beste, was ich aus mir machen kann, finde dich damit ab — und doch hätte ich nichts dagegen, wenn du dich dafür interessieren würdest, was sich hinter dieser Fassade versteckt. Die Stimme jedoch war die einer geübten Verkäuferin, zum Vornehmen strebend oder es verstecken wollend, sich ihrer Klientel noch nicht ganz sicher, aber ihrer selbst sehr. Da schwangen keine Selbstzweifel mit, im Gegensatz zu Maureen, die das Sprechen immer erst zu üben schien, sich selber lauschte. Singen war da etwas ganz anderes. Da gab es keine Unsicherheit, als wäre Singen das, wofür die Stimme da war; nur zwischendurch mußte man sie eben zum Reden benutzen. Es gab noch einen anderen Unterschied: So ähnlich die Aufmachung auch sein mochte, war es doch unvorstellbar, daß diese Frau sich in einem Chor die Stimme aus dem Leib singen würde. Was sie sagte, war: »Tut mir leid, Sie zu belästigen. Ich habe es schon nebenan probiert, aber da scheint niemand zu Hause zu sein.«
    Ich schaute die Straße

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