Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
meinen Besuch geschrieben hatte. Wie froh bin ich jetzt, daß sie das hier nie lesen wird.
Ich runzelte ein wenig die Stirn über diese müßigen Gedanken, die mir gerade durch den Kopf gingen.
»Es hilft ja nichts«, sagte sie, »aber diese ganz gewöhnlichen,
normalen Sorgen, die wir haben ... Verglichen mit der Größe von dem, da bekommen wir höchstens eine Ahnung davon, können wir gerade mal anfangen, es uns vorzustellen, gerade mal anfangen, es zu vervielfachen, um das Grauen wegzunehmen ... Nein, tut mir leid, das ist völlig falsch. Diese Verbindung. Ich meine, wenn alles, was man davon behält, das Gefühl ist, daß man ganz außerordentlich großes Glück hatte und hat.«
Ich schüttelte den Kopf. Irgendwie war das nicht richtig.
»Soll ich weitermachen?« fragte sie. Ich nickte.
»Zumindest kann ich mir so etwas sagen. Ich will, daß ihr alle wißt, daß ich wirklich vorbereitet bin ...«
»Glaubst du an ein Leben nach dem Tod und solche Sachen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Darum geht’s ja. Irgendwo zwischen der unaussprechlichen Schrecklichkeit der Welt und der Schönheit des Ganzen kann man Frieden finden. Zumindest manchmal. Hier und jetzt.«
Ich wußte nicht, weiß es noch immer nicht, ob ich mit irgendeinem dieser Sätze einverstanden war. Das ist zu abstrakt für mich. Ich sollte es herausfinden. Aber so war sie eben, dachte nur daran, es den anderen möglichst einfach zu machen. Es gab eine lange Pause. Ich konnte nicht sagen, was ich dachte. In allem, was sie sagte, was sie war, war keine Spur von Selbstzentriertheit. Welche Welten lagen da zwischen ihr und mir, der ich immer nur über mich selber quasselte.
»Magst du vielleicht meinen Zuckerkrapfen?« fragte sie und schaute ihn an, als würde er schon jahrelang herumstehen.
Ich hatte auch von meinem noch nicht einmal abgebissen. »Typisch«, sagte ich. »Da lade ich meine Schwiegertochter in ein piekfeines Café zum Tee ein, verwöhne sie nach Strich und Faden, und dann sagt sie, daß sie keinen Hunger hat. Ehrlich ...«
Sie legte ihre Hand auf die meine und drückte sie. Ich mußte die Hand wegziehen und aufs Klo gehen. Die Tür war verschlossen. Natürlich war jemand anders drin. Ich konnte mich nicht zu ihr umdrehen, und so fing ich vor der Tür wieder zu weinen an und murmelte dabei, daß sie dringend mal wieder gestrichen werden müsse. Wenigstens liest das alles kein Mensch.
Als ich zurückkehrte, stand sie eben auf, knöpfte ihren Mantel zu und wickelte sich den Schal um den Hals.
»Bitte, Jane, noch ein bißchen.«
Sie setzte sich wieder. »Mir war kalt, das ist alles.«
Erst fiel mir nichts ein, was ich ihr noch hätte sagen können. Dann dachte ich an ein anderes Café und Adrians Kummer an diesem Tag, einem Tag im Herbst, an dem wir fallende Blätter scheuchten, dachte an einen Taxifahrer, der Bertrand Russell fragte, worum es eigentlich gehe. Vorwiegend aber erinnerte ich mich an die Perioden des Schweigens.
Da ich unser Schweigen jetzt brechen wollte, verhaspelte ich mich so, daß ich mehr sagte, als ich wollte. »Wegen Adrian, ich weiß nicht, was ich denken soll, außer, daß ich für ihn dasein werde. Nein, das klingt furchtbar — viel zu amerikanisch. Sorry, alter Junge, Daddy ist nicht da, ist auf Weltreise, kommt in sechs Monaten wieder. Weißt du, ich habe das Gefühl, ich habe ihn nie so richtig gekannt, hatte immer das Gefühl, daß ich mir entweder zu viel oder bei weitem nicht genug Mühe gebe. Als Junge wirkte er immer so distanziert ... Und jetzt ...«
Sie schaute mich an, beinahe streng. »Er redet oft von dir und seiner Mutter. Er liebt euch. Ihr seid seine Eltern. So einfach ist das. Macht sich Gedanken über euch beide. Auch über Virginia, wie er ihr am besten Geld zukommen lassen kann. Er urteilt nicht über euch.«
»Weder für noch gegen.«
»Genau.«
Meine linke Hand lag auf dem Tisch, das Handgelenk war sichtbar. Aus irgendeinem Grund trug ich an diesem Tag statt meiner gewohnten Timex die sehr teure Uhr, die Adrian mir mit der Bemerkung geschenkt hatte, sie gehe auf die Hundertstelsekunde genau.
»Die hat mir Adrian geschenkt. Ich trage sie kaum. Nur bei ganz speziellen Anlässen. Er hat, ihr habt mir immer so schöne Geschenke gemacht. Die CDs, die Bücher. Letztes Weihnachten allerdings diese gräßlichen roten Socken. Was sollen die Leute denn denken, daß ich eine rote Socke bin, oder was?«
Sie lachte. »Immer wenn jemand einen schlechten Witz reißt, sagt
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