Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Besuch im Park mit den Webbs und den Hambles zurück — das linkische Herumreichen des Essens, das Kricket-Spiel, daß Virginia dauernd Mrs. Hamble anschaute und andersherum ebenfalls, die Liebe in den Augen der sterbenden Frau für das Kind, das sie nie hatte. Ich hätte beinahe gefragt, ob Virginia sich auch an das alles erinnere. Aber sie hatte, soweit ich mich erinnern kann, nie mehr von den Hambles gesprochen. Ihre Gedanken waren mit anderen Dingen beschäftigt. Als ich einmal erwähnte, daß ich an unserem alten Haus vorbeigekommen sei und Mr. Hamble im Garten habe arbeiten sehen, sagte sie überhaupt nichts dazu. Es war, als wäre das alles nie passiert. Damals so lebendig, so alles verzehrend. Traurig. Unser Gespräch vertröpfelte sich. Im Hintergrund war Kinderlärm zu hören, also waren wahrscheinlich auch ihre Gedanken abgeschweift.
Meine frühere Frau rief an. Das war ihr Spezialgebiet. Früher hatte sie »Trauerberatung gemacht«, sogar einen Kurs dazu besucht, wenn ich mich richtig erinnere. Sie sagte, daß Adrian vielleicht eine Unterstützungsgruppe nötig habe. Sie sagte, daß bei der Versorgung von Sterbenden, bei den Medikamenten, in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht worden seien. Sie sagte, als Brad starb, habe sie zuerst gemeint, sie würde nie darüber hinwegkommen. Ich sagte nichts, weil mir absolut nichts einfiel, was ich dazu hätte beitragen können. Jetzt redete die Spezialistin. Schließlich sagte sie: »Ich weiß, Tom, daß Worte absolut nichts bringen. Aber wir können doch nicht einfach nur sagen, wie schrecklich das alles ist, und dann auflegen, oder?«
»Nein. Ich fühle mich einfach nur nicht als Teil einer Unterstützungsgruppe,
das ist alles. Da ist Adrian. Da ist Jane. Da sind ihre Leute. Anscheinend kann ich einfach nicht darüber hinausdenken.«
»Tut mir leid, Tom. Ich habe mal wieder der Theoretikerin in mir freien Lauf gelassen. Am Ende hatten wir noch einmal einen richtig guten Lacher, Brad und ich. Wir hatten eine Bibliographie übers Trauern angefordert. Und wir beschlossen, ernsthafte Wissenschaftler, die wir waren, überhaupt nichts davon zu lesen, wenn nicht genug Zeit war, alles zu lesen, um einen völlig unparteiischen Blickwinkel zu bekommen. Er wollte nicht, daß ich den Rest meiner Tage damit zubringe, zu lesen, wie es sich anfühlt, daß er nicht da ist, um mit mir darüber zu diskutieren. Er war ein guter Mann, weißt du.«
Ich sagte, das sei er bestimmt gewesen, und die Kinder hätten ihn ja auch gemocht. Was auch stimmte, oder zumindest zeigten sie keine Ablehnung gegen ihn aus speziellen Gründen. Damit verabschiedeten wir uns. Ich weiß nicht, warum ich nicht versuchte, mit ihr über gemeinsame Erinnerungen zu reden, die Melone aus Pappmache, die Urlaube am Meer und den ganzen Rest. Vielleicht wollte ich mir meine Erinnerungen einfach nicht korrigieren oder in irgendeiner Weise vergrößern lassen. Ob richtig oder falsch, wie partiell oder selektiv auch immer, sie waren für mich zu einem Ganzen geworden, zu einer kompletten Welt, die ich nicht weiter bearbeiten und vervollkommnen lassen wollte, wie die letzte Fassung eines Buchkapitels. Das gleiche Gefühl habe ich jetzt auch bei Jane. Sollte ich einmal jemanden treffen, der sie kannte und über sie reden wollte, würde ich mir eine Ausrede ausdenken und verschwinden. Ich habe versucht herauszufinden, warum das so ist. Eigentlich sollte ich doch hungrig auf Fakten über sie sein. Aber das Bild ist abgeschlossen. Es ist gewissen Stücken wunderschöner Musik nicht unähnlich. An denen sollte auch nicht mehr herumgepfuscht werden.
Ich besuchte Adrian zum Mittagessen in seiner Wohnung. Jane war in der Woche zuvor zu ihren Eltern gefahren. Er würde die Wochenenden bei ihr verbringen und die meisten Abende während
der Woche. Wir umarmten uns ungeschickt, denn es war für uns das erste Mal. Er war sehr ruhig, seine Bewegungen sehr langsam, offensichtlich achtete er strikt darauf, die Selbstkontrolle nicht zu verlieren. Er goß zwei Gläser Wein ein, und wir setzten uns einander gegenüber an den Eßtisch. Die Wohnung war makellos, nichts lag herum, die Möbel glänzten, die Küche war fleckenlos, die Teppiche waren frisch gesaugt. Die Luft roch nach künstlichem Lavendel. An drei markanten Stellen standen Vasen, doch alle ohne Blumen. War die Wohnung deshalb so, weil Jane sie für ihn so hatte hinterlassen wollen, oder hatte Adrian sie so unpersönlich gemacht, um den Nachhall ihrer
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