Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
umarmte mich, wie sie es immer tat, schlang die Arme um mich und drückte mich für einen Augenblick fest an sich. Es gab keine flüchtigen Küßchen auf die Wange und keine säuselnden Geräusche. Es war ein Tag im späten Frühling, nur wenige Wolken zogen schnell über einen dunkelblauen Himmel. Die meisten Bäume waren bereits grün, die wenigen noch kahlen würden in den folgenden Wochen aufholen. Windstöße raschelten in den Blättern und bewegten sie, so daß das Grün in unterschiedlichsten Tönen changierte. Ab und zu huschte ein silberner Schimmer darüber, und hier und dort waren auch blaßgoldene Flecken zu sehen. Die Sträucher in den frisch geharkten Blumenbeeten sprossen kräftig, und einige blühten bereits — Azaleen, die mich an meine Tage in Suffolk erinnerten, als Agnes mich darauf hinwies, daß sie sehr hübsch aussähen, aber nicht für lange, wie auch der Rhododendron, aber was für eine jugendliche Schönheit, fügte sie mit einem Zwinkern hinzu, nicht?
Wir hatten den Park vorwiegend für uns allein, und wir gingen eine lange Zeit einfach nur spazieren. Wir stellten uns nicht einmal die üblichen, höflichen Fragen. Oder genauer, ich fragte sie nicht, wie es ihr gehe, weil es ihr ganz offensichtlich schlechtging — die angespannte Blässe ihrer Haut, die weit über jede Erschöpfung hinaus verschatteten Augen. Es schien mehr zu sein als nur irgendeine Frauengeschichte. Auch mit ihren dunkelbraunen Augen stimmte etwas nicht. Das Weiße glänzte und schien irgendwie größer geworden zu sein. Als sie vor unserer Umarmung meine Arme hielt, war es, als würde sie etwas hinter mir anstarren oder als würde sie mich aus der Ferne als einen von vielen sehen, fast wie einen Fremden. Wir näherten uns einer Bank, sie deutete darauf, und wir setzten uns. Sie nahm meine Hand, drehte sie um und untersuchte sie.
»Falls du mir aus der Hand lesen willst«, sagte ich, »fang mit der Lebenslinie an. Das spart beim Rest Zeit.«
Sie schloß meine Hand zu einer Faust und drückte sie. Einen Augenblick lang schauten wir einander in die Augen ... Ich wünsche mir wirklich, daß dieser Satz nicht so ein Klischee wäre, daß er noch nie zuvor gesagt worden wäre. Aber nein, das war es auch gar nicht, was wir taten. Das ist zu ungenau. Es war Verwirrung zu sehen und Sehnsucht und eine schreckliche Ungewißheit. Der Augenblick ging schnell vorüber. Während wir den Pfad in diesem wunderbaren, wiedererwachten Park entlanggegangen waren, hatte ich mich gefragt, ob sie mir irgend etwas wegen Adrian sagen wollte, daß sie sich trennen wollten, jeweils andere Partner gefunden hatten, oder zumindest einer von ihnen, das übliche, unglückselige Durcheinander. Aber in diesem Augenblick wußte ich plötzlich, was sie mir wirklich sagen wollte. Ich schaute auf unsere Hände hinunter, und Angst und Liebe sprangen in einer schrecklichen Koalition hoch, um mich an der Kehle zu packen.
»Du kannst es dir wahrscheinlich schon denken«, sagte sie sehr leise.
»Eigentlich nicht. Ich ...« Aber ich wußte tatsächlich Bescheid.
»Sechs Monate, wenn ich Glück habe. Er ist schon so ziemlich überall in meinen Eingeweiden. Das muß reichen. Mir reicht es
auf jeden Fall zur Genüge. Mit den Details will ich dich gar nicht belästigen.«
Sie streichelte mir die Hand und lächelte. Ich glaube nicht, daß ich schon einmal versucht habe, ihr Lächeln zu beschreiben. Dazu gehörte ein Heben der Augenbrauen, als hätte sie etwas leicht Schockierendes getan und wäre dabei erwischt worden. Es war ein Lächeln äußerster Offenheit. Es schloß ihr beinahe die Augen, so daß sie, wenn es vorüber war, einen anschaute, als wäre es eine ganz wunderbare Überraschung, daß man noch da war, vor allem, da man ebenfalls lachte.
»Ist mir recht«, sagte ich. »Aber was ... Ich meine. Na ja, Adrian, weiß er ...«
Sie schüttelte den Kopf und hörte einen Augenblick auf, mit meinen Händen zu spielen. »Er hat doch jetzt diesen Beratervertrag; er soll mithelfen, in Ungarn ein europakompatibles Buchhaltungssystem aufzubauen. Er ist absolut begeistert davon. Am Sonntag kommt er zurück. Ich sage es ihm dann. Er weiß, daß es mir in letzter Zeit nicht gutgeht, daß ich mich habe untersuchen lassen.«
Es gab so viele Fragen, die zu erwägen ich nie gewagt hatte, über ihre Ehe, hauptsächlich natürlich übers Kinderkriegen und was dazu führte: wie sie wirklich zusammen waren. Was mich an ihnen immer verblüfft hatte, war ihr
Weitere Kostenlose Bücher