Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Adrian: >Der würde Dad gefallen.‹ Und er grinst breit, wenn er das sagt.«
Ich verzog übertrieben das Gesicht, legte mir den Handrücken an die Stirn und stöhnte. Dann bemerkte ich, daß ihr Lächeln verschwunden war. Für einen kurzen Augenblick hatte ihr Gesicht richtig gestrahlt, war voller Freude gewesen, wie zuvor, als sie zu den Bäumen hochschaute, in den Himmel, und dort den schnell dahinziehenden Wolken nachsah.
»Ich glaube, ich muß jetzt wirklich los, Dad. Mein Auto steht ganz in der Nähe.«
Ich stand auf und stellte mich neben sie. »Ich bringe dich hin.«
Sie berührte meinen Arm. »Dieses letzte Stück gehe ich allein.« Sie hielt kurz inne und schaute mich mit einem für sie untypischen Stirnrunzeln an. »Dir ist schon bewußt, nicht, daß ich ein sehr, sehr glückliches Leben hatte?«
Wir gingen nach draußen, und sie nahm mich noch einmal sehr innig in die Arme, hielt mich lange fest, oder eigentlich war jetzt ich es, der sie drückte. Wieder stiegen mir die Tränen in die Augen, so daß ich, als sie sich dann von mir löste, ihr Gesicht nicht erkennen konnte, nicht einmal, ob sie lächelte oder meinen Kummer teilte.
»Leb wohl, Dad. Und vielen Dank.«
Sie drehte sich um und ging davon. Ich stand einfach nur da und blinzelte, so daß sie einen Augenblick lang völlig klar war und im nächsten nur ein verwaschener Schemen inmitten von Menschen und Autos und Häusern. Doch es geschah in einem klaren Augenblick, daß sie sich umdrehte und mir eine Kußhand zuwarf. Sie lächelte ihr breitestes Lächeln, und dabei wirkte sie wie eine Frischverliebte, die sich aufs nächste Mal freute und hoffte, es würde bald sein. Dann verschwamm sie wieder. Dann war sie überhaupt nicht mehr da.
Sehr lange stand ich noch so. Die Kellnerin stand neben mir und hielt mir die Rechnung hin.
»Haben Ihnen die Krapfen nicht geschmeckt?« fragte sie. Ich schüttelte den Kopf und zog einen Zwanzig-Pfund-Schein
aus meiner Brieftasche. »Bezahlen müssen Sie sie aber trotzdem.«
»Der Rest ist für Sie«, sagte ich.
Zuerst schaute sie mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank. Ich vermute, sie sah, daß ich geweint hatte, denn anstatt mir zu danken, sagte sie, daß es ihr leid tue. Das sagen die Leute oft, ohne zu wissen, weswegen. Sie sehen, daß andere am Teich des Leidens trinken, den jeder kennt.
»Die Krapfen waren völlig okay, soweit ich weiß«, sagte ich.
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte sie und kehrte ins Café zurück.
Als sie die Tür öffnete, blies ein Windstoß ihr den Rock hoch, und sie drückte ihn etwas zu spät wieder nach unten. O ja, sogar in diesem Augenblick, sogar in diesem Augenblick ...
Ich habe Jane nie wiedergesehen.
Adrian rief mich ein paar Tage nach seiner Rückkehr aus Ungarn an. Er sagte nur, wie froh er sei, daß Jane und ich uns getroffen hatten. Er würde mich auch gern sehen. Ob ich ihn besuchen kommen könne? Wir vereinbarten einen Termin. Ich fragte, ob Virginia und seine Mutter ebenfalls Bescheid wüßten. Er sagte ja, beide. Beide riefen mich tags darauf an. Virginia kannte Jane kaum. Es sei ganz furchtbar, sagte sie. So ein Verlust. Wie ich glaube, daß Adrian es ertrage? Ich sagte, ich wisse es noch nicht. Das war ungefähr sechs Monate nach ihrem trostlosen Urlaubsbesuch. Richard hatte jetzt einen Teilzeitjob.
Er sei zwar ein bißchen unter seiner Würde, sagte sie, Verwaltungsaufgaben für einen Transportkonzern, aber vielleicht öffnete sich ihm später die Tür in die Managementebene, wenn er seine Karten richtig spielte. Dann machte sie eine Pause. Vielleicht erwartete sie einen Witz. Ich fragte statt dessen nach den Kindern. Sie arbeite ebenfalls als Teilzeitkraft im örtlichen Krankenhaus, deshalb teilten sie sich die Kinderbetreuung. Sie kämen ganz gut zurecht. Nach ihrem Besuch hatte ich ihnen einen »Kredit« von tausend Pfund geschickt, also hatten sie »dank mir« einen Großteil ihrer Hypothekenrückstände begleichen können. Ich
hatte meine Karten richtig gespielt, könnten Sie jetzt sagen, hatte meine Trümpfe auf den Tisch gelegt.
Ich wollte sie fragen, wie Adrian auf sie gewirkt hatte. Sie hätte es mir bestimmt gesagt, wenn es in ihrem Gespräch um mehr gegangen wäre als nur um den Austausch von Neuigkeiten, wenn er irgendwie verstört geklungen hätte oder dergleichen. Oder vielleicht nicht? Ich wußte nicht, wie nahe sich die beiden standen oder sich je gestanden hatten. Plötzlich kehrten meine Erinnerungen zu dem
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