Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
beiläufiger Umgang miteinander, keine Zurschaustellungen von Zuneigung, aber auch absolut ohne jede Form von Spannung oder Verkrampftheit. Wenn sie einander anschauten, dann waren es Blicke offensichtlichen Vertrauens und Respekts. Und der gegenseitigen Abhängigkeit. Vielleicht weil ich sie auch mit meinen eigenen Augen sah, wirkte Adrians Ausdruck so, als sei er völlig in ihren Bann geschlagen — oder zumindest beinahe, weil er ganz einfach glaubte, daß es auf der ganzen Welt niemand gebe, der auch nur entfernt so sei wie sie. Und damit hatte er völlig recht. In meinen Augen war er um Längen der Glücklichere. Wobei sich das mit der Länge jetzt als falsch herausstellte.
Ich dachte das eben, als sie sagte: »Ich will nur, daß du es weißt, Dad. Adrian ist der bemerkenswerteste Mann, den ich kenne.
Weißt du, und jetzt kann ich nicht mehr um den heißen Brei herumreden, oder nicht mehr viel ... Wie soll ich das sagen? Da es die üblichen Intimitäten ja nicht gab, oder nicht sehr oft und nicht immer bis zum Abschluß, hat etwas anderes ihren Platz eingenommen, das beständig wuchs und gedieh wie ein Baum, etwas, das nicht von den Höhen und Tiefen, den Unzufriedenheiten der Lust ... Sorry, Formulierungsprobleme ...«
Ich nahm ihre andere Hand und untersuchte sie wie sie die meine. »Nicht das Brechen der Wellen, der wiederholte frische Zusammenbruch ...«
Sie lachte. »Daran solltest du vielleicht noch ein bißchen arbeiten. Kommt dir das nicht bekannt vor, die Sache mit dem Zusammenbruch?«
Ich wußte zu der Zeit nicht, was sie meinte, fand es aber später in dem kleinen Buch, das der Vikar mir geschenkt hatte: diese Vision des Meeres, der weiße Dampfer, der im Nachmittag feststeckt, die Kinder, die nach riesiger Luft greifen, die steifen Alten, die ihren letzten Sommer spüren. Nur die letzte Zeile, darüber, auch den Alten zu helfen, wie sie es sollten, kam mir dunkel wieder in Erinnerung. Das ist ja ganz verkehrt herum, dachte ich. Aber diese Gedanken waren flüchtig und seicht. Ich hatte einfach nicht verstanden, was sie mir gesagt hatte, ihre Stimme hatte so sachlich geklungen. Ich schaute sie an. Sie war sehr nachdenklich, sehr weit weg. In diesem Augenblick wurde es plötzlich wahr.
»Adrian, wie um alles in der Welt wird er ... ? Wie soll es weitergehen, was ...?«
»Das ist ja das Schlimmste. Meine Eltern, auch mein Bruder.« Sie schaute mich an, wieder mit diesem Lächeln, als hätten wir eben einen Spaß gemacht, keine Spur von Klage oder Selbstmitleid. »Und du, Tom.«
Ich zuckte die Achseln. »Ich? Ist mir eigentlich ziemlich egal, ehrlich gesagt, ob du hier bist oder nicht.«
Ein Schluchzen brach aus mir hervor, und ich fing unkontrolliert zu weinen an, so daß ich sie auf dieser Bank sitzen lassen und ein Stück gehen mußte, bis in den Schatten eines Baumes. Was für eine unglaublich große Hilfe ich ihr doch bin, dachte ich,
was für ein gigantischer Turm der Kraft werde ich für meinen Sohn sein. Aber Kummer achtet nicht auf gutes Zureden, und es dauerte eine Weile, bis es wirkte. In dieser Zeit ließ sie mich in Ruhe, bis ich mir ein letztes Mal die Nase schneuzte und die Augen wischte, und dann spürte ich ihren Arm um meine Schultern und ließ mich von ihr zur Bank zurückführen. Eine Weile saßen wir noch da und schwiegen. Ich war froh, daß sie meine Hand nicht mehr nahm, denn dann hätte die ganze Flennerei noch einmal begonnen.
Als sie schließlich wieder etwas sagte, war ihre Stimme unverändert. Ich stellte mir vor, daß sie in der Arbeit genauso war, ruhig, überzeugend, unwiderlegbar.
»Meine letzten Tage will ich mit meinen Eltern verbringen. Im dortigen Krankenhaus gibt es eine sehr gute Krebsabteilung. Ich werde konstante Pflege brauchen, wenn ich zu Hause sterben will ...«
»Um Himmels willen, Jane«, brach es aus mir hervor. »Du könntest doch eine Pflegerin engagieren ...«
»Er kann mich besuchen kommen, sooft er will. Jeden Abend, wenn nötig. Es sind nur eineinhalb Stunden mit dem Zug ...«
»Natürlich, natürlich, tut mir leid. Und deine Eltern werden wollen ... Ich habe nicht nachgedacht.« An dieser Stelle wurde meine Stimme heiser, als hätte ich versucht, so zu klingen wie sie. »Du läßt mich doch wissen, nicht, was ich zu ihm sagen soll und so?«
»Nein, nein, Dad. Das weißt du schon selber.«
Der Wind war kalt geworden, oder wir hatten zu lange hier gesessen. Die Sonne versteckte sich kurz hinter einer Wolke, und Jane zitterte. Die
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