Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Überlegenen. Im allgemeinen jedoch gestehen die moralisch Unterlegenen sich nichts dergleichen ein. Für die moralisch Überlegenen haben sie Ausdrücke
wie »pharisäerhaft«, »selbstgerecht«, »hochnäsig«. Vielleicht ist das der Grund, warum die moralisch Überlegenen in dieser Hinsicht lieber den Mund halten, vielleicht sogar im Selbstgespräch. Dasselbe gilt für überlegenes Wissen, das zugesteht, daß jeder auf seine ganz eigene Art wissend oder unwissend ist. Die Unwissenden haben eher nichts dagegen, daß sie so sind, außer daß sie ein wenig dazu neigen, anderen Leuten vorzuwerfen, sie hätten »keinen blassen Schimmer«, und diejenigen mit überlegenem Wissen mit Ausdrücken zu belegen wie »Besserwisser«, »Neunmalkluger«, »Eierkopf« und so weiter. Ich habe keinen blassen Schimmer, ob irgendwas von dem stimmt oder nicht ...
Wie auch immer, Mrs. Felix ließ mich also als Oxford-Absolventen stehen. Wie gern wäre ich genau zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort einer gewesen. Aber wenn ich einer gewesen wäre, dann hätte ich weder zu diesem Zeitpunkt noch zu irgendeinem anderen an diesem Ort gestanden. Nun gut, jetzt konnte es passieren, daß ich Mr. Felix das eine oder das andere Mal Sand in die Augen streuen mußte. Vielleicht haben Oxford-Absolventen ja gelernt, wie man so etwas macht. Ich glaube nicht, daß ich bis jetzt viele kennengelernt habe. Jenners vielleicht. Wie er könnte ich mir eine Lesebrille zulegen, über die ich dann spöttisch hinwegspähen könnte. Ein bißchen an meiner Stimme arbeiten. Er könnte mich natürlich durchschauen, mich auffliegen lassen. Ich konnte schon Mrs. Felix zu allen und jedem sagen hören: »Ein totaler Hochstapler, dieser Ripple. Hat behauptet, er wäre in Oxford gewesen. Der war nicht mal in der Nähe.« Aber wen in unserer Straße würde das interessieren? Mr. Badgecock? Mrs. Hirst? Den Fensterputzer, dessen Namen ich nie erfuhr? Die Patels? Die Studentinnen, die erst Lärm machten und es dann leiser angehen ließen? Ich würde mich verpflichtet fühlen, bei jeder Begegnung an irgendeinem Punkt zu sagen: »Als ich in Cambridge war.«
Bald darauf saß ich im Bus neben einer der Studentinnen: ein Mädchen mit verquollenen Augen, kurzgeschnittenen Haaren und perfekt geformten Lippen, das absolut nichts unternommen hatte, um ihr Aussehen zu verbessern. Und sie trug auch absolut
keinen Duft — vielleicht hatten die vielen männlichen Studenten, die abzuwehren waren, damit etwas zu tun. So wirkte auch ihre ganze Haltung eher abweisend. Ich brachte einige Bücher aus der Bücherei nach Hause, und auch sie hatte ein paar auf ihrem Schoß. Meine waren Thriller, zum Glück lag ein Anthony Powell obenauf. Sie kannte mich vom Sehen gut genug, um zu sagen: »Na, hallo.«
Ich schaute auf ihre Bücher und sagte: »Des vielen Büchermachens ist kein Ende, und das viele Studieren ermüdet den Leib.«
Der Satz stand in Großbuchstaben hinter dem Ausgabeschalter in der Bibliothek — genau das, was ein Absolvent der Oxford University sagen würde, hoffte ich.
Sie kicherte und umklammerte ihre Bücher ein wenig fester. Sie sah, Gott sei Dank, nicht so aus, als wollte sie fragen, wer das gesagt hatte. Nahm vielleicht sogar an, es sei von mir.
»Was studieren Sie, wenn ich das fragen darf?«
Sie zappelte noch ein bißchen. »Medienwissenschaft.«
Als Absolvent der Geschichte an der Universität von Oxford vor Hunderten von Jahren fiel mir darauf nichts ein. »Aha«, sagte ich deshalb. »Zu meiner Zeit ...«
Sie wandte sich von mir ab und schaute zum Fenster hinaus, und ihr Schenkel bewegte sich von meinem weg.
»Ich habe gehört, daß Mrs. Felix wegen der Musik ziemlich böse mit Ihnen war.«
Sie schaute mich wieder kurz an. »Ignorante, überhebliche Kuh!«
»Ja, mh ... Medienwissenschaften. Kein Mangel an Kanälen der Karriere in diesem Erwerbszweig, wenn ich so sagen darf.«
Sie schaute mich lange stirnrunzelnd an, als versuchte sie, sich daran zu erinnern, wann sie das letzte Mal, falls überhaupt je, jemanden so reden gehört hatte. »Ist ganz okay.«
Nach einer Pause versuchte ich es noch einmal. »Ansonsten ist es keine so üble kleine Straße. Bequem gelegen.«
Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Sagte, sie würde für alle Anwohner sprechen. Wir sollten doch ein wenig Rücksicht nehmen. Ob wir wüßten, was für ein Glück wir haben. Zu
ihrer Zeit und so. Und noch mehr von diesem Quark. Hat irgendwas von der Kluft zwischen den
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