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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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auch noch Blumen zu betrachten und Kondolenzschleifen zu lesen. Langsam verteilten sich alle in Richtung Parkplatz, wechselten hier und dort ein Wort und setzten sich dann in ihre Autos. Es wirkte, als wollten sie alle so wenig Lärm machen wie möglich. Es war aber auch, als hielte sie irgend etwas zurück, irgendeine Umkehrung der Zeit, für die sie bereit sein sollten — oder als widerstrebte es ihnen, den Lärm und die Geschäftigkeit der Welt wieder zu betreten, in der sie anfangen würden zu vergessen.
    Adrian faßte mich am Ellbogen, führte mich zu seinem Auto und fuhr mich zum Haus. Ich sagte, die Zeremonie sei sehr schön gewesen, was nicht so total unangemessen war, wie andere Worte es gewesen wären. Er sagte, eigentlich hätte er sehr gern eine der Lesungen übernommen. Aber er hätte sich selber nicht trauen können. Außerdem habe er weder die Stimme noch die rhetorischen Fähigkeiten für so etwas. Ganz okay für die Finanzvorträge
bei Aufsichtsratskonferenzen. »Und denen fallen vor lauter Aufsicht eh meistens die Augen zu«, fügte er mit einem kurzen Seitenblick zu mir hinzu.
    Ich nickte. Nicht der Anflug eines Lächelns.
    »Nicht schlecht für einen Anfänger, mh?«
    Ich spitzte die Lippen. »Vier von zehn, und das ist noch großzügig.«
    Wir hielten vor dem Haus, und er warf mir ein flüchtiges Grinsen zu. Außer der unmittelbaren Familie waren noch drei oder vier Leute anwesend. Janes Vater gab uns einen Sherry, und ihr Bruder reichte Nüsse herum. Ich fand mich in einem Gespräch mit einer mütterlichen Tante wieder, ausgerechnet über Azaleen. Wahrscheinlich stand irgendwo eine herum. Die Tante ging weg, und Janes Mutter kam zu mir. Es war offensichtlich, daß sie jetzt anfing, unerträglich zu leiden. Zu viel war zurückgehalten worden. Ihre Stimme war zu laut und sehr brüchig. Ihre Augen blickten starr und füllten sich mit Tränen.
    »Sie konnte keine Kinder kriegen, hast du das gewußt?«
    »Nein, das habe ich nicht gewußt.«
    »Ach wenn nur ... wenn wir sie in einem anderen Menschen sehen könnten. Sie wäre eine wunderbare Mutter gewesen.« Sie begann zu brabbeln, ihre Stimme brach endgültig, sie hatte keine Kontrolle mehr. »Diese letzte Zeile. Irgendwo wird Regen daraus. Das ist Fruchtbarkeit. Es hätte nicht traurig sein sollen. Sie war bei allen Ärzten, hat alles versucht. Es hat sie so unglücklich gemacht. Sie wollte Adrian ein Kind schenken und uns Enkel. Dir auch. Ein kleiner Soundso, dem er seine schrecklichen Witze erzählen kann, hat sie gesagt ...«
    Jetzt brachen die Tränen aus ihr heraus. Sie zitterte und murmelte immer wieder, wie leid ihr das alles tue. Ihr Mann kam zu uns und führte sie weg. Adrian sagte, er werde mich zum Bahnhof fahren. Ich wußte nicht recht, wieviel er davon mitbekommen hatte, deshalb sagte ich nichts. Janes Vater kam mit uns zum Auto, den Arm um Adrian. Er sagte, er sei sehr froh, daß ich dabeigewesen sei, als hätte ich eine Alternative gehabt. Mir fiel nichts ein, was ich ihm hätte sagen können. Als wir uns die Hand gaben,
schüttelte er leicht den Kopf, als wollte er mich davon abhalten, daß ich es überhaupt versuchte. Wie viele Erinnerungen an sein kleines Mädchen muß er gehabt haben, jedes Jahr ein Kind verlieren und ein anderes gewinnen, leicht verändert, aber gleichermaßen geliebt. Und schließlich all diese liebenswürdigen, lebendigen Gesichter, überlagert von dem einen, bleibenden Gesicht des Todes.
    Im Auto fragte ich Adrian, von wem die Musik am Ende der Zeremonie stamme, und er meinte, er sei sich nicht sicher. Sie habe viel klassische Musik gehört. Das meiste davon sei nicht seine Sache gewesen. Es sei oft im Hintergrund gelaufen, wenn sie abends noch arbeiteten, und es sei ihm entfernt bekannt vorgekommen.
    Bei Abschied sagte er: »Ihre Mutter hat recht, Dad. Wir konnten keine Kinder bekommen. Auch in der Hinsicht mußten wir eine große Selbstgenügsamkeit in unserer auf sich allein gestellten Liebe entwickeln. Jane hat das mal so formuliert. Sie hat schrecklich darunter gelitten. Aber jetzt? Wenigstens sind jetzt keine Kleinen da, die das alles ebenfalls durchmachen müßten. Das war eins der letzten Dinge, die sie gesagt hat.«
     
    Das also habe ich zu der Zeit geschrieben. Erst ein Jahr später fand ich den Namen der Musik heraus, die sie für ihren Abgang ausgesucht hatte. Ich war in der Küche und bereitete mir eben mein Abendessen zu. Okay, ich schob einen tiefgekühlten Cumberland Pie in den Ofen. Es kam

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