Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
gelogen hat, dann könnte er auch jetzt lügen. Egal. Unsere Lebenswege hatten miteinander kaum etwas zu tun. In ihrem Fach wurde ihr beigebracht, das hoffte ich zumindest, daß man nichts für bare Münze nehmen dürfe. Was könnte ich von ihr auch wollen, wenn ich nichts wollen durfte und sie nichts von mir wollte. Zuerst wußte ich nicht so recht, ob es mir gefiel, ein falscher Professor zu sein. Das einzig Wichtige war, daß die Felix mir nicht auf die Schliche kamen. Einmal in der Woche erinnerte Mrs. Hirst sie daran, daß sie neben einem Professor wohnte. Wenn die Felix mir auf die Schliche kämen, wäre Mrs. Hirst die erste, die es erfahren würde, und kurz darauf jeder andere.
Ich fühlte mich fast so wie damals, als ich mir Ziegelsteine in die Aktentasche steckte, um Plaskett den Eindruck zu vermitteln, ich wäre viel fleißiger, als ich es tatsächlich war. Ich genoß es damals ziemlich, ihn für dumm zu verkaufen. Die Welt für dumm zu verkaufen war eine andere Geschichte. Doch ich gewöhnte mich daran. Wir versuchen fast die ganze Zeit, andere für dumm zu verkaufen, wollen ihnen weismachen, daß wir weniger dumm sind, als wir es tatsächlich sind, und uns, daß wir weniger dumm sind als sie. Deshalb ertragen wir Dummköpfe gern und hoffen, daß wir selber als weniger unerträglich betrachtet werden. Eine Möglichkeit, von der eigenen Dummheit abzulenken, besteht darin, den Dummen zu spielen und damit anzudeuten, daß wir uns unserer
Dummheit durchaus bewußt sind. Wir haben es dann nicht mehr nötig, andere für dumm zu verkaufen. »Sei nicht so dumm« ist deshalb ein Ausdruck, den ich eher zu vermeiden suche, außer wenn ich mit mir selber rede.
Manchmal glaube ich, genau darum ging es mir, als ich damals anfing, über Nachbarn, die Familie usw zu schreiben: Ich wollte herausfinden, ob ein durchschnittlicher Dummkopf, wenn er über dies und das nachdenkt, eher durch Aufrichtigkeit als durch Erschöpfung durchschnittlich klug werden kann. Vielleicht habe ich das von meiner Mutter, die immer sagte: »Es wäre dumm, mich anzulügen, Tom« und: »Wenn du klug bist, dann traust du keinem Menschen, bis du dir ganz sicher bist.« Mein Vater wurde von Kunden und Lieferanten beständig übers Ohr gehauen. Wenn das passierte, schüttelte sie den Kopf und schaute mich an, wie um mir zu sagen: Ein Dummkopf ist dein Vater nicht, aber die Welt kann ihn sehr leicht für dumm verkaufen. Sie war nie illoyal ihm gegenüber. Sie ließ seine Dummheit fast wie eine Tugend erscheinen. Ich vermute, ich war irgendwie gefangen zwischen seiner Dummheit und ihrer Klugheit. Und jetzt, da ich das schreibe, weiß ich nur, daß ich ihn vermisse, und nur das ist wichtig für mich. Jetzt wünsche ich mir, ich hätte mehr für sie sein und tun können, hätte ihnen größere Zuneigung zeigen können. Man wiederbelebt, was nicht neu durchlebt werden kann. Man bedauert, was sich nicht ändern läßt. Das ist dumm. Aber man empfindet eben so. Man kann nicht sagen: Was passiert ist, ist passiert, wir sind, wie wir sind, und damit hat sich’s — mit einem Fingerschnippen abtun, was das Leben einen gelehrt hat. Wirklich sehr unklug, hätte ich mir dabei denken sollen, oder habe ich dummerweise versucht herauszufinden ...
Als nächstes kommen einige Zeilen über die Frau in Nummer 27.
Nach unserer ersten Begegnung traf ich sie eine ganze Weile nicht. Oft sah ich sie in ein Auto einsteigen oder aus ihm aussteigen,
immer in Eile. Sie schaute sich nicht um. Mehrmals hatte sie jemanden bei sich, eine schwarzhaarige junge Frau, die immer sehr dicht bei ihr blieb. Manchmal war sie nicht da, wenn das Auto zurückkehrte. Ziemlich oft sah ich sie in ihrem Vorgarten. Immer stand sie mit dem Rücken zur Straße, wenn sie jätete oder pflanzte, ziemlich hektisch, wie es mir vorkam, so als müsse sie einen Termin einhalten. Als sie einmal weg war, sah ich Mr. Tomkins und seine Schwester an ihrem Zaun stehen und begeistert reden und deuten; ganz offensichtlich freute es sie, daß noch jemand in der Straße eine gewisse Klasse bewies. Vor meinem Garten bleiben sie nie stehen, da sie wissen, daß er noch immer vorwiegend aus einem unebenen Pflasterweg besteht, der von Gras und Unkraut zusammengehalten wird — hauptsächlich Löwenzahn, der sich auch auf dem Rasen breitmacht — und einem »Blumenbeet« am Rand mit sechs Sträuchern darin. Allerdings ist mein Garten nicht so verwahrlost wie der von Rosie. Ich mähe den Rasen, grabe das Beet
Weitere Kostenlose Bücher