Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
ziemlich oft. Ich beobachtete sie nicht allzu lange. Es war der Anblick einer so vollkommenen Versöhnung, der meine Aufmerksamkeit fesselte, das und die Frage, wie lange es halten würde. Sie waren wirklich sehr wütend gewesen; das Fenster war offen, und die ganze Nachbarschaft hatte den Streit mitbekommen. Ich hörte mich selber sagen: »Gott stehe ihnen bei.«
In solchen Augenblicken wünsche ich mir, Gott wäre nicht nur
ein Wort: Es würde allerdings keinen großen Unterschied machen, gibt es doch ebenso viele unglückliche Leute, die an ihn glauben, wie solche, die es nicht tun. Was für einen Beweis ich für diese Behauptung habe? Das weiß nur Gott allein.
Nur um die Sache zum Abschluß zu bringen. Die Felix betrachteten mich nun als eine Person mit überlegenem Wissen, während mein Wissen für die Studentinnen unterlegen war. Mrs. Felix fühlte sich den Studentinnen moralisch überlegen, und andersherum genauso. Da ich beide belogen hatte, konnte ich mich beiden nicht moralisch überlegen fühlen. Wenn ich die Studentinnen nicht angelogen, nie etwas mit ihnen zu tun gehabt und meine Distanz gewahrt hätte, hätte ich mich ihnen aufgrund meiner mangelnden Lebensleistung und der relativen Gleichgültigkeit dem Wohlergehen der Menschheit gegenüber moralisch unterlegen fühlen müssen. Dies setzt jedoch voraus, daß ich mir je die Mühe gemacht hätte, darüber überhaupt nachzudenken — wobei diese Aussage nicht gerade für große Überlegenheit spricht, wenn ich es mir recht überlege. Ich weiß nicht, ob die Felix oder die Studentinnen sich mir moralisch überlegen fühlen. Ich weiß nicht, ob mir etwas daran liegt, ob sie es tun oder nicht. In dieser generellen Hinsicht scheint es so zu sein, daß wir herumwuseln und versuchen, uns selbst in Beziehung zu anderen Leuten zu definieren, um ein Gefühl für uns selbst zu bekommen, ohne die Selbstachtung zu verlieren. Das ist es, was uns wirklich wichtig ist – daß man gut von uns denkt, weder unter- noch überlegen in irgendeiner Hinsicht. Sobald wir das erkannt haben, geht es uns besser. Wir wollen wissen, wo wir in den Augen anderer stehen. Wir brauchen ein gutes Gefühl in bezug auf uns selbst. Güte und Wissen haben damit nichts zu tun. Und deshalb müssen wir oft vorgeben, etwas zu sein, was wir nicht sind. Das kann nicht gut sein. Sollte Mrs. Felix mir vorwerfen, ich sei ein Hochstapler, würde ich ihr sagen, daß sie recht habe, daß es aber nur eine Anerkennung ihrer Überlegenheit sei, die anzustreben wir, die wir unterlegen sind, nicht umhinkönnen. Denken würde ich allerdings dabei: Merkst du gar nicht, daß ich dich verarscht habe, du überhebliche, ignorante Kuh?
(Wobei mir einfällt, daß ich offensichtlich die Mischung von intellektueller Überlegenheit plus moralischer Unterlegenheit und das Gegenteil noch gar nicht zur Sprache gebracht habe. Ich kann mir nichts Schädlicheres vorstellen als ersteres: diejenigen, die schlauer sind als andere, neigen sehr stark dazu, sich selber auch als moralischer zu betrachten, haben sie doch so viel mehr Zeit damit zugebracht, über das Richtig und Falsch der Dinge nachzudenken — was bedeutet, daß sie zu anderen und über andere so ziemlich alles sagen können, was sie wollen. Nicht nur sagen, auch tun. Wichtig ist ihnen, daß sie besser Bescheid wissen als die anderen. Egal ist ihnen, wieviel besser sie sind, ob sie das wissen oder nicht. Die gegenteilige Mischung ist vergleichsweise relativ harmlos. Die moralisch Überlegenen mit unterlegenem Wissen haben nicht das Bestreben, anderen ihre Gedanken in den Rachen zu stopfen, da sie ja auch nicht besonders viele Gedanken haben, vor allem nicht darüber, wie moralisch überlegen sie sind. Das muß noch eingehender und zu einer anderen Zeit erörtert werden. Nicht in bezug auf mich selbst, dieser Faden ist am Ende. Habe ich nicht irgendwo gesagt, daß noch einiges an Aufdröseln zu leisten ist? Jetzt nicht mehr. Ich kann den Faden nicht mehr zur Hand nehmen und wieder hineinweben. Es ist nicht nur meine Ausdauer, die langsam ausfranst. Es ist mein Glaube an Gewißheiten. Das ist die Versuchung: zu sagen, daß man nicht viel weiß und nicht besser ist als irgendeiner, und wen kümmert das? Wodurch sie zu einem Segen wird, ihre schlichte Wahrheit, der Seelenfrieden, den sie bringt. Ich bin nicht in Versuchung, das jetzt noch weiterzuspinnen. Ich habe keine Lust darauf. Und das ist die Wahrheit.)
Ach ja, vielen Dank, ich weiß, daß es Christ
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