Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Jacke. Ihre Haare waren schwarz und kurz geschnitten. Sie hielt den Kopf immer gesenkt, so daß ich ihr Gesicht nie richtig zu sehen bekam, aber es wirkte klein und rund und weiß. Es war die Mutter, die die Aufmerksamkeit auf sich zog — diese verhärmte, erschöpfte Traurigkeit. Ich stellte mir dieses Stöhnen im Schlafzimmer vor. Es gab nur eine Schlußfolgerung: eine Frau mit einer kranken Tochter. Es hatte nichts mit Religion zu tun. Oder es hatte alles damit zu tun.
Es gab schon mehrere TV-Dokumentationen über Leute mit den unterschiedlichsten Krankheiten und diejenigen, die sich um sie kümmern, die Belastung für die Liebe usw. Ich hatte den Eindruck, daß ich da meine Nase nicht hineinstecken sollte, daß die Frau weder von mir noch von sonst jemandem angesprochen werden wollte. Deshalb ging ich von nun an auf der anderen Straßenseite
an ihrem Haus vorbei. Dies brachte mich natürlich näher an das Paar, das zu einigen Zeiten besser miteinander auskam als zu anderen. Was aber auch bedeutete, daß ich den Mann in der zu kurzen Hose näher in Augenschein nehmen konnte, der zweimal, als ich gerade vorbeiging, den Müll herausbrachte. Er trug einen Bademantel oder einen alten braunen Mantel und darunter einen noch kürzeren Pyjama. Seine stacheligen, graubraunen Haare waren ungekämmt, vielleicht weil er gerade erst aufgestanden war, auch wenn es beide Male früher Nachmittag war. Seine Antwort auf meinen Gruß war unverbindlich oder in einer fremden Sprache. Sein Gesicht unter einer schmalen Stirn wirkte ungewöhnlich grau und klein, was die Falten noch tiefer wirken ließ und sie zusammendrängte. Mein erster Eindruck, er wirke wie jemand auf der Flucht, wurde bestätigt. Ich wunderte mich, daß Mrs. Hirst mir nichts von ihm erzählt hatte, deshalb fragte ich sie eines Abends.
»Die Frage stellt sich wohl, Professor. Sagen wir einfach, Sie und er hätten nicht sehr viel gemeinsam. Würde ich mal vermuten. Ich habe mir wirklich mal die Mühe gemacht, ihn anzusprechen und zu sagen, falls mal irgendwas sei, aber er meinte nur, nein, alles in Ordnung.«
Ich hatte sie nicht nach der Frau und ihrer Tochter von Nummer 27 gefragt, weil ich davon ausging, daß sie es mir erzählen würde, wenn sie es für richtig hielt. Als ich ihr eines Vormittags mal wieder eine Katze zurückbrachte, kamen die beiden aus dem Haus und stiegen auf ihre hastige, verstohlene Art in das Auto ein. Wir unterbrachen die Unterhaltung für ein paar Sekunden und schauten ihnen nach. Sogar Mrs. Hirst verstummte, und einen Augenblick lang mied sie meinen Blick. Danach redete sie weiter über ein skandalöses Ereignis, das mit einem Vikar in ihrer Kirche und einer Reise ins Heilige Land zu tun hatte, kam also sofort wieder zu dem Thema zurück, von dem wir zuvor abgelenkt worden waren. Sie hatte mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, daß gewisse Dinge im Klatsch nichts zu suchen hatten; was ja ich, wenn auch schwächer, ebenfalls getan hatte, indem ich das Thema nicht zur Sprache brachte. Ihr Gesicht war sehr still geworden, und in ihren Augen hatte ich kurz Mitleid aufglimmen
sehen, wobei der Vikar nicht der Grund dafür sein konnte, wie ich sehr schnell bemerkte, als sie zu seinen Bemühungen um die Gemeindefinanzen und um die Frau des Organisten zurückkehrte. Ihre Versuche, schockiert zu klingen, wurden konterkariert von ihrer Aufregung: Falls ich es genau wissen wolle, sie habe noch nie viel für ihn übrig gehabt, also nein, danke, die gleichen schlampigen Klamotten wie alle anderen dort, und dieses ganze Gitarrengeklimper vor dem Altar, und einer habe mit einer Baseball-Kappe auf dem Kopf sogar mal direkt draufgesessen, und dann die Predigten über Fußballer und Popstars.
Während sie weiterplapperte und ihre Katze mit kräftigen, langen Handbewegungen streichelte, kam mir die Frage in den Sinn, was wohl aus dem Vikar in Suffolk geworden war, zu dem ich den Kontakt verloren hatte. Sein Glaube hatte ziemlich auf der Kippe gestanden. Vielleicht hatte er den Ruf vernommen und war Börsenmakler geworden. Ich wünschte mir, ich hätte den Kontakt mit ihm nicht verloren. Außer ihm hatte es nie irgend jemanden gegeben, mit dem ich über Glaubensdinge hätte sprechen können. Alle Bücher, die ich mir angeschaut hatte, fingen befürwortend oder ablehnend an und blieben auch so. Entweder man tat es, oder man tat es nicht ... Glauben, meine ich.
Mrs. Hirst sagte eben: »... Da muß man sich doch fragen, nicht? Was passiert als
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