Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Nichts, nirgendwohin. Hätte mich jemand gehört, wäre es als Summen durchgegangen. Und ich wäre zufrieden gewesen. Als ich noch in einer Familie lebte, war es einfach, sich unbedeutend zu fühlen.
Auch meine Tagträume haben sich verändert. Jetzt geht es weniger um dunkelhäutige Schönheiten in tropischer Umgebung, sondern um junge Damen, die mich auf bevölkerten Plätzen ansprechen und in dunkle Gassen führen. Manchmal werden sie schnell älter, je dunkler die Gasse wird, normalerweise werden sie jedoch jünger, und im hellen Sonnenlicht am andern Ende der Gasse werden sie Kinder, manchmal in Schuluniformen und manchmal meine Tochter und manchmal beides. Nur selten bleiben sie so, wie sie anfangs waren, aber nur dann ist es wirklich amüsant.
Es gibt Zeiten zwischen Schlafen und Wachen, in denen ich mir überlege, wie mein Leben anders sein könnte. Inspiriert von den
wenigen Büchern, die ich gelesen habe, und der Betrachtung ländlicher Szenen im Fernsehen, stelle ich mir manchmal vor, in einer anderen Umgebung zu leben. Ich sehe das weite, sonnenhelle Hochland oder einen riesigen, flachen Park mit kleinen Baumgruppen in der Entfernung und dichtem, fettem, frisch gemähtem Gras, wo ich herumspaziere und zufällig auf eine Hochzeit treffe, an deren Ende die Braut aus der Kirche kommt und, mit prächtigster Stimme, eine Opernarie singt. Ich wandere zwischen kleinen Schafherden umher und überquere schlammige Bäche. Ich führe einen jungen Esel über einen Kiesweg und binde ihn an einer Wasserpumpe in einem verlassenen Dorf an. Ich habe kein bestimmtes Ziel. Ich bin hier ein Fremder. Einfach durch meine Anwesenheit besetze ich ein Anwesen. Ich bereite es für niemanden vor. Meine Familie wird mich hier nicht besuchen. Ich hoffe, daß es eines Tages problemlos möglich sein wird, das Gut zu verlassen und sie zu besuchen. Es sind nur wenige Schafe, und ihre Wolle ist rein weiß, aber schütter. Ich habe nur den einen Esel. Der einzige Vogel auf dem Anwesen ist eine große Eule, die ein Auge immer geschlossen hat, und das zweite sieht eindeutig blind aus.
Diese Träume habe ich nur, wenn ich zu Hause bin. Bei meinen Reisen nehme ich Schlaftabletten und träume dann von Seiten voller Zahlen und Kränen, die in fremden Häfen Waren abladen. Ich zähle Exporttonnen und keine springenden Schafe. Ich nehme an Besprechungen teil, bei denen Männer mit ähnlichen goldenen Manschettenknöpfen und frisch gewaschenen Haaren plötzlich alle gleichzeitig zu reden aufhören und sich zu mir umdrehen, dem einzigen, der zuhört, weil ihnen eben aufgefallen ist, daß ich immer noch im Pyjama bin. In diesem Traum gibt es keine jungen Stenotypistinnen. Die Luft ist dick von Zigarrenrauch, und ich wache mit Kopfschmerzen auf, und mir graut vor dem Tag bis zum Abend, denn dann werde ich auf Kosten der Firma gut essen und einen guten Wein trinken und danach ins Bett gehen mit einer guten (warten Sie es ab) Lektüre ... Aber nein, da sind ja noch meine Notizen, die Berechnungen, die in eine ordentliche Form gebracht werden müssen, da ist mein Bericht, den ich zumindest skizzieren muß, da ist, worüber ich nachdenke, um mich wenigstens
kurzfristig von alldem abzulenken — was mich den ganzen Tag über höchstens kurzfristig abgelenkt hat, hätten wir doch jemanden gebraucht, der stenographiert, Kaffee serviert und so weiter. Wo war ich? Bei einem guten Buch. Ich habe immer eins bei mir. Ein oder zwei Seiten vor dem Einschlafen. Im Augenblick beschäftige ich mich mit Captain Cook. Die Hochsee und weit entfernte Länder. Ob im Wachen oder im Schlafen, der Verstand läßt sich davon kaum ablenken. Er ist für die große, weite Welt offensichtlich nicht ausgestattet. Er ist noch immer im Pyjama. Das Licht wird ausgeschaltet, und plötzlich sind sie da, unerforscht, so weit entfernt und doch so nah, die Beine junger Damen, die stenographieren usw., die in feuchte, dunkle Wälder führen, zu Dschungelgeräuschen.
Während ich mich also in diese unentdeckten Regionen vorwagte, verschwendete ich keinen Gedanken daran, was an der Heimatfront vor sich ging. Ihr Abschiedsbrief ist ein wohlformuliertes Werk. Da steht nichts zwischen den Zeilen, keine Bitterkeit, keine Verurteilung. Das einzige, was daran nicht stimmt, ist die Tatsache, daß nichts daran nicht stimmt. Ansonsten wäre es mir wohl möglich gewesen, darauf zu antworten. Alles, was ich gesagt hätte, hätte das Niveau nur gesenkt. Sie hat nur freundliche, gütige
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