Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
schade, dann haben Sie also keine mehr«, sagte ich, stand schnell auf und strich mir das Sakko glatt. »In dem Fall sollten Sie die Leute allerdings nicht locken, um es einmal prägnant zu sagen. Kein Wunder, daß die armen Dinger Lieferschwierigkeiten haben, wenn die ganzen Weihnachtsmänner hinter ihnen her sind, um sie zum Schlittenziehen einzuspannen.« Dann ging ich zum Lift und sammelte unterwegs meine Tochter ein.
Sie war inzwischen sehr rot im Gesicht. Mit meiner Hand an ihrer Stirn drehte sie sich um, so daß der Verkäufer sehen konnte, wie fiebrig sie war und wie sehr sie meiner Fürsorge bedurfte. Wie er reagierte, als sie ihm die Zunge herausstreckte, kann ich allerdings nicht sagen. In dem Augenblick war ich stolz auf sie. Sie hätte nur nicht zu kichern anfangen dürfen. Es war ihre ganz private, kleine Demonstration, aber ich war auch froh, daß sich ihre Rebellion allem Anschein nach darin erschöpfte. Ansonsten hätte der Humor wahrscheinlich die Erkenntnis nicht überlebt, daß es da draußen in der Welt eigentlich überhaupt nichts zu lachen gibt. Das ist etwas, worüber meine Frau so viel besser Bescheid weiß als ich – aus erster Hand natürlich. Auf die Wirklichkeit nicht vorbereitet zu sein scheint manchmal mit jedem Tag wichtiger zu werden.
In der folgenden Woche dachte ich, daß mein Sohn eine vergleichbare Exkursion ebenfalls genießen könnte. Aber er verstand absolut nicht, worum es eigentlich ging, trottete nur hinter mir her und hatte Mitleid mit mir, weil es so viele edle Dinge auf der Welt gab, die ich mir nicht leisten konnte. Denn warum sollte ich hierhergehen, wenn ich mir nicht etwas kaufen wollte?
»Können wir nicht irgendwo hingehen, wo’s billiger ist, Dad?« fragte er. »Dieses ganze Zeug hier gefällt mir ja nicht einmal.«
»Ja, Junge«, erwiderte ich, »es gibt Läden, die billiger sind, aber man sollte immer an der Spitze anfangen und sich langsam nach unten arbeiten. So kommt man eher damit zurecht, daß man sich gewisse Dinge eben nicht leisten kann, dann kommt Neid gar nicht erst auf. Ist eigentlich eine Frage der Selbstachtung.«
Er schaute stirnrunzelnd zu mir hoch, fragte mich aber Gott sei Dank nicht, was ich damit meinte. Inzwischen weiß ich es auch nicht mehr so recht. Ich habe nicht gesagt »Abscheu vor protzig zur Schau gestelltem Reichtum, verschwenderischer Lebensführung oder der unakzeptablen Fratze des Kapitalismus« – diese Art der entrüsteten Weltbetrachtung bekommt er in ausreichender Menge von seiner Mutter indoktriniert. Ich befürchte allerdings, daß er kein größerer Rebell sein wird als ich. Wenn ich nur wenigstens eine Ahnung hätte, was aus ihm einmal wird. Vielleicht hoffte ich einfach, daß er sich nicht auffressen läßt von der Gier nach dem, was er nie haben kann, daß er sich in seinen Träumen, des Tags wie der Nacht, selbst genügt, wie extravagant seine Phantasien auch sein mögen. Natürlich darf diese Selbstgenügsamkeit nicht so weit gehen, daß er plötzlich nichts mehr sieht, was seiner Entrüstung wert wäre. Um unserer Selbstachtung willen kann es sich keiner von uns leisten, nicht manchmal zu sagen (oder zu denken): »Jetzt aber mal halblang, das übersteigt unsere Verhältnisse.«
Sosehr ich mich auch anstrengte, an diesem Tag schaffte ich es nicht, ihm ein Lächeln zu entlocken. Für das Rentier oder das Kamel sei das wohl nicht so lustig, meinte er tadelnd. Er langweilte sich, war des ganzen Luxus überdrüssig. Mir ging es ebenso. Wir wollten beide nach Hause, auch wenn wir wußten, daß uns auch dort nur Langeweile und Überdruß erwarteten. Vor allem, vermute ich, war es jedoch so, daß wir uns beide für das Wohlbefinden des anderen verantwortlich fühlten, dieser Verantwortung jedoch nicht gerecht werden konnten. (Dasselbe gilt, wie ich darzustellen versucht habe, für meine Tochter, doch ihr genügt ihr eigenes Wohlbefinden, um sich deswegen unwohl zu fühlen.) Das
ist wohl immer die Wirklichkeit, auf die uns nichts je vorbereiten kann, und zwar bei jeder Gelegenheit, die mit anderen Menschen zu tun hat; man entlockt jemandem ein Lächeln und weiß, einen deutlichen Hinweis auf etwas, dem man nicht gerecht werden kann, wird man nicht bekommen. Ich konnte meiner Tochter ein Lachen entlocken und meinem Sohn nicht einmal ein Lächeln. Ich vermute jedoch, das hat nichts damit zu tun, wer von den beiden mehr Humor hat.
KAPITEL VIERZEHN
U nd wieder ist Zeit vergangen.
Plaskett hat mich in sein
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