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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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ist.
     
    Meistens reden wir über die Schule. Ich stelle ihr Fragen wie: »Wie geht es Mr. Phipps in letzter Zeit?« Das bringt sie dann in Fahrt. Mr. Phipps ist ihr Chemielehrer, und ich glaube, sie ist ein wenig verschossen in ihn. Sie erzählt Anekdoten darüber, was er sagte, als ein Experiment nicht so funktionierte, wie er es sich vorgestellt hatte. Ich sehe meine Tochter nicht nur bei der unbefleckten Empfängnis in einem Häuschen auf dem Lande. Ich sehe sie auch in kleine Teile zerrissen in einem Chemielabor. Ich frage deshalb nicht genauer nach, welche von Mr. Phipps Experimenten nicht so funktioniert haben, wie er es sich vorgestellt hatte.
    Es gibt zwei Mädchen, Angie und Sprog heißen sie, die sie ebenfalls ziemlich oft erwähnt. Eine der beiden hat Zugang zu Marihuana, und die andere will Oberschwester in einem großen Londoner Krankenhaus werden. Die eine ist gut im Hochsprung, die andere spielt sehr gut Kornett. Die eine ist sehr hübsch, die andere ein häßliches Entlein, aber lustiger. Der Vater der einen ist im Küchengerätegeschäft. Der Vater der anderen ist tot. Ich verwechsle die beiden immer und frage mich, was sie von meiner Tochter halten. Inzwischen trägt man in ihrer Schule keine Uniformen mehr, was ich immer dann bedauere, wenn ich versuche, sie mir vorzustellen. Diese Faltenröcke und weißen Blusen mit Krawatten sind Sachen, die ich heutzutage in einem allgemeineren Sinne vermisse, das Konzept dahinter. Züchtige Trägerröcke usw.
     
    Ich kann mich nicht überwinden, mit ihr darüber zu reden, worüber sie reden will. Über die Gründe unserer Trennung hätte ich kaum etwas hinzuzufügen zu dem, was ihre Mutter ihr sicher schon erzählt hat, und ich könnte es auch nicht annähernd so gut
sagen – nicht nur, weil ich mir in der (jeder) Sache nicht so sicher bin wie meine Frau. Sie hat meinen Standpunkt bestimmt mit absoluter Fairneß dargestellt, was erstaunlich ist, da ich gar nicht so recht weiß, ob ich einen habe, der der Rede wert wäre. Wenn wir zusammen sind, meine Tochter und ich, merke ich jetzt, daß meine Liebe zu ihr zum großen Teil genau so weit reicht, daß ich erkenne, sie will mir zeigen, daß sie mich liebt. Manchmal redet sie von früheren Zeiten und sagt dann: »Weißt du noch, als ... ?« Sie bringt diesen Nachmittag mit den Webbs und den Hambles im Park zur Sprache. Nur in diesem Kontext erinnert sie sich an sie. Sie seufzt um die Vergangenheit und setzt eine Weltverdrossenheit auf und will, daß ich mich mit ihr in dieser Melancholie suhle. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht kann sie sich selbst und andere nicht allein bemitleiden und braucht Unterstützung in der Erkenntnis, daß die Welt grausam ist. Nur um sie glücklich zu machen, bin ich manchmal versucht zu sagen, wie schade es doch ist, daß wir nicht alle wieder zusammen sind, und daß es aber nicht so hätte weiterlaufen können wie bisher, wobei ich dann so tun würde (müßte), als wüßte ich nicht so recht, warum.
    Am liebsten wäre ihr, ich würde meine Hand auf die ihre legen, wenn sie sich an eine anrührende Episode aus der Vergangenheit erinnert, irgendein Spaß hier, irgendein Kummer dort, und mein Blick würde sich versonnen trüben, und ich würde Sachen sagen wie: »Laß das Vergangene ruhen. Ich will nur, daß du glücklich bist. Wir hatten schöne Zeiten. Alles in allem war das Leben doch gut zu uns, und die Zukunft ist voller Hoffnung. Ich liebe dich nicht weniger als zuvor und möchte gern, daß auch deine Liebe für mich ungeschmälert ist, auch wenn unsere Wege sich getrennt haben und die Sonne sich hinter einer Wolke versteckt und wir lernen müssen, den steilen Weg zur Weisheit allein zu gehen, bevor die Nacht hereinbricht und ein neuer Morgen dämmert.« Wenn sie dann nicht augenblicklich einen Krankenwagen riefe, würden ihre Augen sich mit Tränen füllen, und sie würde mit einem abgrundtiefen Seufzen (das die volle, baumelnde Größe ihres BH-losen Busens betont) sagen: »Ach, Daddy!«
    Wenn mir dieser Gedanke kommt, daß sie es gern hätte, wenn
unsere Unterhaltung diese Wendung nehmen würde, dann merke ich, daß ich sie weniger liebe, als ich sollte. Oder bin ich es selber, den ich in diesem Augenblick nicht liebe? Denn die Wahrheit ist, ich wäre gern, wirklich sehr gern, meinen Kindern so nahe, daß ich es mir gestatten könnte, solche Gespräche mit ihnen zu führen. Ich fürchte die Sentimentalität und Weltverdrossenheit meiner Tochter, weil sie diese Regungen

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