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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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endlos. In seinem ganzen Leben wird der Mensch das Ziel seiner Sehnsucht nicht ganz besitzen können. Die Einheit mit dem Unendlichen ist unerreichbar, die Momente der mystischen Vereinigung sind vorbei, ehe sie begonnen haben. Deshalb ist die wahre, die heroische Liebe gleichbedeutend mit Leid: »Mir, der ich das edle Banner der Liebe trage,/sind eisig die Hoffnungen und die Wünsche siedend heiß:/im selben Moment erzittere ich, erstarre zu Eis, brenne und lodere hell,/bin stumm, erfülle den Himmel mit glühenden Schreien,/aus dem Herzen lasse ich Funken stieben/und aus den Augen Wasser tropfen./Ich lebe und sterbe, lache und klage:/die Wasser sind lebendig und das Feuer stirbt nicht,/denn in meinen Augen sitzt Thetis und im Herzen Vulkan./Das andere liebend, hass ich mich selbst,/doch wenn ich Flügel nehme, verwandelt mein Objekt sich zu Stein,/es strebt zum Himmel, wenn ich auf die Erde falle;/immer flieht es, solange ich nicht aufhöre zu folgen. Wenn ich rufe, antwortet es nicht:/und je mehr ich suche, desto mehr versteckt es sich mir.«
    Das glückliche Pathos der Verschmelzungssehnsucht, das uns bei den mittelalterlichen Mystikern begegnet ist – hier wird es auf die Spitze getrieben und schlägt um. Weit entfernt scheint Eckharts überzeugte Rede vom Seelengrund, wo Gott und Mensch zueinander durchbrechen, noch viel weiter entfernt die heitere Gewissheit Platons, dass die fragende Seele im Verlauf ihres Aufstiegs ins Reich der Ideen Antwort bekommen wird, vorläufige zwar, doch immerhin … Bei Giordano Bruno bleibt die Sehnsucht bestehen, die daher rührt, dass der Mensch, solange er »Ich« sagen kann, nicht im Göttlichen aufgehen kann. Denn wenn er sein Ziel zuletzt doch erreichen würde, dann bedeutete das zugleich das Ende seiner Existenz. Dann würde es ihn vernichten wie die Motte das Licht, das sie anzog.
    Als guter Renaissancedenker wählt Bruno einen antiken Stoff, um das zu veranschaulichen: Diana, die Göttin der Jagd, wurde vom Jäger Aktaion beim Baden beobachtet, so erzählt der Mythos. Zur Strafe verwandelte sie ihn in einen Hirsch und ließ ihn von seinen eigenen Hunden zerreißen. Die Hunde stehen für die Sehnsucht nach der Erkenntnis. Und dann folgt Giordanos überraschende Schlussfolgerung: Für ihn ist Aktaion glücklich, da er nun, befreit von der begrenzenden Materie, einen unverstellten Blick auf Diana hat: »Deshalb braucht er seine Diana nun nicht mehr gleichsam durch Ritzen und Fenster zu betrachten, sondern ist nach dem Niederreißen der Mauern ganz Auge mit dem gesamten Horizont im Blick.« Aus der suchenden Liebe ist ein Schauen geworden, in dem der Liebende ganz aufgeht. Das Ziel ist erreicht, wenn auch um den Preis der eigenen Existenz. Hier zeigt sich die Liebe in ihrer ganzen Abgründigkeit.
    Im Grunde sind es die alten Motive, die bei Giordano Bruno wieder auftauchen: die Sehnsucht der zwei Hälften des Kugelmenschen oder das Schwingen des Kosmos zwischen Liebe und Entfremdung, wie es Empedokles beschrieben hat. Bei dem Italiener aber haben diese Motive eine dramatische Färbung angenommen, ganz so, als würden sie von dem Feuer angestrahlt, das am 17. Februar 1600 auf dem Campo dei Fiori in Rom brannte: Da starb Giordano Bruno, als Ketzer verurteilt, auf einem Scheiterhaufen. Seine Suche nach der Wahrheit war für die Kirche unerträglich geworden.
    Dem einstigen Dominikaner war es um die Liebe zum Unendlichen gegangen. Doch was er sagt, ist auch in der endlichen Liebe zwischen Menschen erlebbar. Nicht umsonst spricht man vom Orgasmus als vom »kleinen Tod«. Und auch auf seelischer Ebene können Liebende Momente erleben, in denen sie sich ununterscheidbar eins fühlen – aber diese Momente gehen immer wieder vorüber, so dass die Liebe ihren Sehnsuchtscharakter und damit die Hoffnung auf eine neue Verschmelzung letztlich nie verliert. Wo man sich jedoch über die Vergänglichkeit solcher Momente hinwegtäuscht, wo man sich selbst oder dem anderen verbieten will, wieder ein eigenständiges Wesen zu werden, da kommt der Prozess zum Stehen. Dann droht die Liebe in Abhängigkeit oder gar Hörigkeit zu erstarren. Heutige Psychologen sprechen hier von symbiotischen Partnerbeziehungen. Bruno würde vielleicht sagen: Das Endliche kann eben nicht unendlich sein.
    Um die Wende zum 18. Jahrhundert hat dann ein Franzose das Motiv der Selbstaufgabe in der Liebe noch einmal durchgespielt. François de Salignac de La Mothe-Fénelon, kurz François Fénelon genannt, versuchte

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