Ein unbeschreibliches Gefuehl
Ausschweifung, folglich zur Regellosigkeit. Mithin zieht sie den Menschen zur Missgestalt, also zur Hässlichkeit.«
Beispielhaft in die Tat und in ein literarisches Werk umgesetzt hatte diese Haltung bereits um die Wende zum 14. Jahrhundert ein anderer Italiener: der Dichter und Philosoph Dante Alighieri. Seine lebenslange platonische Liebe zu Beatrice beschreibt er in seinem als Autobiographie stilisierten Werk »Das neue Leben«. In seiner »Göttlichen Komödie« tritt die verstorbene Beatrice dann als personifizierte Philosophie und Theologie auf. Sie geleitet den Icherzähler Dante, der bereits den Weg durch Hölle und Fegefeuer zurückgelegt hat, vom irdischen in das himmlische Paradies. Unterwegs genießt Dante die Schönheit der göttlichen Ordnung, die sich im Anblick Beatrices widerspiegelt – übrigens besonders in ihren Augen. Der Aufstieg der Seele zu Gott mit Hilfe der Schönheit, hier ist er in eine Liebesgeschichte gekleidet!
Doch zurück zu Marsilio Ficino! Der unterscheidet die Liebe des Menschen zu Gott, also zu einem Höheren, von der umgekehrten Liebe Gottes zum Menschen, also zu einem Niedrigeren. Und dann gibt es noch die Liebe zwischen Gleichrangigen, also zwischen Menschen: Wo, beflügelt von der Schönheit, zwei Seelen einander und damit zugleich ihren göttlichen Ursprung erkennen, da gehen sie ineinander auf. Aber nicht so, dass nun beide verloren wären. Sondern in der Weise, dass jeder sich im anderen wiedererkennt wie in seinem Spiegelbild und sich damit wiedergewinnt – sich und den anderen noch dazu.
Aber: Was bedeutet es heute, die Seelen auszutauschen, da das neuplatonisch-christliche Weltbild der Renaissance nicht mehr unbedingt im Hintergrund steht? Es bedeutet vielleicht: sich zu schenken, indem man sich öffnet. Indem man riskiert, vom anderen wirklich gesehen zu werden. Damit ist kein Seelen-Striptease gemeint, kein psychischer Exhibitionismus. Vielmehr der Mut und das Vertrauen, den anderen nicht nur die Schokoladenseite sehen zu lassen, sondern auch die weniger glänzenden Seiten – beziehungsweise die, die man dafür hält. Denn das ist ja das Interessante: Was man selbst für besonders unattraktiv hält, das beurteilt der andere vielleicht gar nicht so streng, weil es bei ihm keine Schwachstelle, keinen wunden Punkt trifft. Diese Erfahrung wird möglich, wenn man sich wirklich öffnet. Dazu braucht es ein Vertrauen, das auf Gegenseitigkeit beruht. Ausdrücklich spricht Ficino von der Gleichrangigkeit Liebender, von einem beiderseitigen Austausch. Das ist wichtig. Offenheit soll nicht dazu führen, dass ein pseudotherapeutisches Machtgefälle installiert wird, denn das wäre der Tod der Liebe.
Noch stärker als Ficino betont sein Freund, der Fürst Giovanni Pico della Mirandola, die Bedeutung der Schönheit. Die ist für ihn wirklich der allerinnerste, göttliche Kern der Welt und nicht etwas, was man von ihr trennen könnte. Gut (neu)platonisch nimmt er an, dass der Mensch diese geistig-spirituelle Schönheit, ausgehend von der sinnlichen Wahrnehmung, erkennen könne. Aber, so sagt Pico: Die Schönheit liegt eigentlich gar nicht im Angeschauten, sondern im Blick des Anschauenden. Nur wer mit der Seele schaut, kann das Schöne, also das der eigenen Seele Verwandte, im anderen Menschen entdecken. Im 20. Jahrhundert wird Antoine de St. Exupéry seinem »kleinen Prinzen« ähnliche Worte in den Mund legen: »Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.«
Pico della Mirandola spricht von einem spirituellen Licht, das die Seele ausstrahlt. In diesem Licht wird die Schönheit des Gegenübers sichtbar, das daraufhin geliebt werden kann. Letztlich aber ist das Licht der Seele nur Abglanz des göttlichen Lichts, das alle Dinge von innen erstrahlen lässt.
Die endgültige Vereinigung mit dem göttlichen Schönen verlegt Pico an die Grenze des irdischen Lebens. Da verliert sich bei Pico die Seele in einer letzten Umarmung mit der Liebesgöttin Venus. Venus verkörpert bei Pico die überirdische, rein geistige Schönheit. Ihre Umarmung beschreibt der Florentiner so erotisch, dass man ihn fast daran erinnern möchte, dass seine Venus doch gar keine irdische Frau sein soll, sondern die Verkörperung der göttlichen Schönheit. Nicht umsonst hat Pico festgestellt, dass der Mensch während seines Erdenlebens nicht beides zugleich verfolgen kann: die sinnliche und die himmlische Liebe.
Die irdische Liebe hat Giovanni Pico della Mirandola in
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