Ein unbeschreibliches Gefuehl
noch dazu sinnlos zwischen zwei Menschen schieben. Guter Sex findet eigentlich im Kopf statt, heißt es ja, aber wie soll das gehen, wenn der mit anderem angefüllt ist? »Abgeschiedenheit« nannte Eckhart jenes Leerwerden, das für ihn die Voraussetzung einer echten Begegnung (in seinem Fall mit Gott) war. Er predigte sogar die Abgeschiedenheit von (frommen) Leistungen. Auch das lässt sich auf das heutige Lieben beziehen. Dann wird daraus der Abschied vom Leistungsdenken in der Liebe, von Liebesbeweisen und Normerfüllung.
Die Denker in der Tradition Platons sprachen immer vom Aufstieg der Seele. Mit den Mystikern ist eine andere Dimension hinzugekommen: die Tiefe. Zu lieben, das führt nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Tiefe – die der eigenen Seele wie die des gemeinsamen Raumes, der sich in der Begegnung auftut. Das kann abgründig werden – Meister Eckhart spricht vom Urgrund der Seele, an dem Gott und die Seele zueinander durchbrechen und an dem nicht mehr klar ist, wer überhaupt wer ist. Wer sich loslassen und in eine solche Begegnung hineinfallen lassen will, braucht Vertrauen. Vertrauen in sich selbst, in den anderen und in das, was geschieht. Und solche Begegnungen dauern ja auch nur Augenblicke lang. Schon Bernhard von Clairvaux hatte betont, dass die mystischen Erlebnisse kurz, rar und kostbar sind. Für die Momente, in denen sich Liebende ineinander verlieren, gilt dasselbe. Mehr wäre vielleicht nicht auszuhalten.
Was bei Meister Eckhart so subtil daherkommt, das Glück des ineinander Aufgehens, haben dann übrigens andere Mystiker handfester beschrieben, zum Beispiel im 16. Jahrhundert Teresa von Ávila in ihrer Auslegung des alttestamentlichen Hoheliedes. Dieser Bibeltext handelt von der Liebe. Er wurde aber im Christentum immer allegorisch gedeutet, indem man ihn auf die Liebe zwischen Christus und die Kirche bezog. In ihrer Auslegung des Hoheliedes spricht Teresa, die spanische Karmelitin, nun sehr unverhüllt von den Küssen, die zwischen ihr und Gott getauscht werden, und sie bittet darum, seine Brüste gereicht zu bekommen. Wie sagte schon Dionysius: Der göttliche Eros fasst alle irdischen in sich zusammen …
Sich im anderen verlieren
S ich im anderen zu verlieren, das ist Ziel und Erfüllung der Liebe. Es kann auch Gefahr bedeuten. Schon Meister Eckhart hatte davon gesprochen, dass der (Gott) Liebende in der Begegnung mit dem Geliebten vom Etwas zum Nichts versinkt. Dass man sich in der Liebe bis zur Selbstvernichtung verlieren kann, diesen Gedanken hat, fast dreihundert Jahre nach Meister Eckhart, der Italiener Giordano Bruno zu Ende gedacht.
Als Kind seiner Zeit, der Renaissance, verband der Philosoph und Dichter Bruno antike mit christlichen Aussagen. Aber er griff auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse auf, so etwa das heliozentrische Weltbild. Für ihn war das Weltall zeitlich wie räumlich unendlich und zugleich die Einheit aller Gegensätze, das All-Eine. Das dachte Bruno sich als beseelt, vom Göttlichen durchwirkt wie von einer einzigen Seele. Pantheismus nennt man diese Verhältnisbestimmung von Gott und Welt, sie ist mit dem Glauben an einen personhaften Schöpfergott unvereinbar und galt daher damals und noch lange als Ketzerei. Weshalb Bruno, der Dominikaner-Priester, dann auch aus seinem Orden austrat und durch halb Europa reiste. Unterwegs entwickelte er seine eigene Philosophie.
In ihr spielt die Liebe eine große Rolle. In seinem Buch »Die heroischen Leidenschaften« (1585) beschreibt Bruno die wahre, die philosophisch-dichterische Liebe als nie verlöschende Flamme der Sehnsucht, als heroische Leidenschaft (»furor«). Sie treibt den Menschen dazu, sich mit dem göttlichen Unendlichen, dem All-Einen, zu verbinden und darin aufzugehen. Doch wo findet der heroische Mensch dieses Unendliche? Es ist in ihm selbst und in der Welt verborgen, sagt Bruno getreu seinem pantheistischen Ansatz, folglich wird der Jäger hier selbst zum Gejagten. In die eigene Tiefe, in das Innerste seiner selbst strebt er in einer unendlichen, sich annähernden Kreisbewegung, in einem Sich-in-sich-Zurückziehen, das der Eigenbewegung des Göttlichen folgt: »Wenn er nach dem edlen Glanz strebt, muss er sich, soweit er es vermag, zur Einheit zurückziehen, so weit als möglich in sich selbst zusammenziehen … er muss in das Innerste seiner selbst eindringen, in dem Bewusstsein, dass Gott nah ist, mit ihm und in ihm.«
Das Tragische daran: Dieser Prozess der Annäherung ist
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