Ein unbeschreibliches Gefuehl
Überlegenen und Höherstehenden.«
Interessant ist nun, wie Dionysius diese Vereinigung im Detail beschreibt: »Der göttliche Eros ist aber auch entrückend und lässt nicht zu, dass die Liebenden sich selbst angehören, sondern nur den Geliebten.« Verzückung, Entrückung – wer wahrhaft liebt, gehört sich nicht mehr selbst, sondern geht im anderen auf. Dionysius beschreibt die Liebe zu Gott als gefühlsintensives, nahezu erotisches Erlebnis, das nur eines erfordert: sich selbst zu vergessen. Damit hat er eine Tür geöffnet, durch die Jahrhunderte später die Mystiker schritten.
Einer von ihnen war Bernhard von Clairvaux, ein berühmter Zisterziensermönch und Kreuzzugsprediger des 12. Jahrhunderts. Für ihn steigt die Seele bei ihrer liebenden Gottessuche auf, um ihr Ziel jenseits der materiellen Welt zu finden. Doch gleichzeitig steigt die Seele mit jedem Aufwärtsschritt weiter hinab in die innere Tiefe einer demütigen Hingabe an Gott. Wer diesen Weg geht, so sagt Bernhard, dem ist schon in diesem Leben eine kurze, ekstatisch-schauende Vereinigung mit Gott gewährt. Aber – das ist der Haken – man darf dieses kontemplative Erlebnis nicht erreichen wollen, sonst ist die Liebe schon nicht mehr ganz selbstlos und rein, also »spiritualis«, sondern wieder fleischlich, weil auf den eigenen Vorteil bedacht. Wir kennen dieses Ideal der reinen, interesselosen Liebe bereits von Bernhards Gegenspieler Pierre Abaelard. Um seine Verwirklichung geht es Bernhard wie allen Mystikern und Mystikerinnen nach ihm: darum, mit dem Geliebten (im Fall der Mystiker ist das immer Gott) zu verschmelzen, indem man von sich selbst gänzlich absieht. Sich loslassen, um sich im anderen wiederzufinden, so lautet diese Formel, aus der viel Innigkeit spricht.
Kaum einer hat sie glühender und mitreißender in Worte gefasst als, knapp zweihundert Jahre nach Bernhard, der berühmteste Mystiker überhaupt: Eckhart von Hochheim. Meister Eckhart, Dominikaner, ein brillanter Theologe und Seelsorger, sorgte um die Wende zum 14. Jahrhundert für Furore, weil er in den ihm anvertrauten Frauenklöstern rings um Straßburg auf Deutsch predigte statt, wie bisher üblich, auf Latein. Das war skandalös, weil seine Worte nunmehr völlig ungehindert Kopf und Herz der Zuhörerinnen erreichen konnten. Es sollte ihm, nebenbei bemerkt, später Probleme mit der Amtskirche bereiten. Lassen wir nun Eckhart selbst zu Wort kommen, in seiner 42. Predigt: »Du sollst Gott lieben ungeachtet seines Liebenswertseins … Du sollst Gott ungeistig lieben, … denn solange deine Seele geistförmig ist, so lange hat sie Bilder. Solange sie aber Bilder hat, so lange hat sie Vermittelndes; solange sie Vermittelndes hat, so lange hat sie nicht Einheit noch Einfachheit … Du sollst ihn lieben, wie er ist, ein Nicht-Gott, ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person, ein Nicht-Bild, mehr noch: wie er ein lauteres, reines, klares Eines ist, abgesondert von aller Zweiheit. Und in diesem Einen sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts.«
Subtiler, philosophischer lässt sich eine Liebesbegegnung kaum beschreiben. Eine Erfahrung des Überwältigtwerdens nicht vom anderen, sondern gemeinsam mit dem anderen wird hier beschrieben. Wir wollen nun nicht in Eckharts Biographie nach realen Erlebnissen herumwühlen, die hinter diesen Worten stehen, sondern lieber fragen, was, von der Gottsuche abgesehen, dieser Mystiker uns Heutigen in unseren zwischenmenschlichen Liebesversuchen sagen kann. Da ist durchaus etwas Wichtiges zu finden: Fort mit den Bildern, sagt Eckhart, fort mit den Vorstellungen, mit den Gedanken! Ganz leer muss die Seele sein, ganz abgeschieden, dann kann der Geliebte sich mit ihr vereinigen, sie kann in ihm versinken und mit ihm zusammen zum Nichts werden.
Erkennen wir darin etwas wieder? Tatsächlich liegt in der Warnung vor Bildern und Gedanken etwas bleibend Aktuelles. Setzen wir den modernen Begriff der Projektion an diese Stelle oder ganz einfach die Erwartungen, das Vorwissen, das Beziehungswissen, die Wertungen und Konventionen, die guten Ratschläge … So vieles ist auch heute da, was die Seele anfüllt und sie daran hindert, dem Gegenüber wirklich, und das heißt offen, zu begegnen!
Ein konkretes Beispiel: Wie viele sexuelle Begegnungen sind stressbeladen, weil einer oder beide Beteiligten glauben, sie genügten nicht dem gängigen Schönheitsideal? Leer zu werden hieße hier, diese Normen aus dem Kopf zu verbannen, die sich so unbarmherzig und
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