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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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erleben, das können wir von ihm lernen. »Unum velle« – dasselbe zu wollen ist auch für heutige Liebesbeziehungen geradezu ein Glücksrezept. Wer nicht nur gemeinsame Werte bejaht, sondern auch gemeinsame Ziele verfolgt (wir wenden Thomas jetzt mal weltlich an), der liebt sozusagen auf breitem Fundament.
    Welche Ziele das heutzutage sein können, das herauszufinden haben Paare alle Freiheit. Ebenso wie sie darauf achten müssen, dass die gemeinsamen Ziele nicht zum Selbstzweck werden und sich auf gemeinsame Arbeit und Anstrengung reduzieren. Dasselbe zu wollen heißt ja auch, dasselbe zu genießen. Arm in Arm dasselbe anzuschauen und sich daran zu erfreuen, das ist eine wunderbare Beschäftigung.
    Doch damit ist die Bedeutung von Thomas’ Aussagen für heute noch nicht erschöpft. Indem der Dominikaner-Philosoph die Liebe zum Formprinzip der ganzen Welt erklärt, knüpft er an vorsokratische Philosophen wie Empedokles an, die einst von der Liebe als kosmisch-schöpferischer Kraft gesprochen haben. Gleichzeitig zeigt er damit, dass die Liebe es ist, die den Menschen am wertvollsten macht, eben weil sie ihm eine Form gibt – wir würden heute vielleicht sagen: eine Struktur und damit ein Maß, eine Ethik. Die Liebe ist es, die den Menschen zum Menschen macht, so könnte man es auch ausdrücken.
    Das ist ein sehr optimistisches Bild von der Liebe. Es hat so lange Bestand, wie Gott als Garant am Ursprung und am Ziel steht und die Liebeskräfte bindet. Im Mittelalter war das zumindest in der Theorie, und das heißt in Theologie und Philosophie, der Fall. Im praktischen Leben herrschten rauhere Sitten, woran auch die Sublimierung der Triebe im Minnedienst und im Marienkult nur teilweise etwas änderte. Dass die Liebe archaisch und damit zerstörerisch sein kann, wussten die Menschen sehr wohl, und Geschichten wie jene von Abaelard und Héloïse bestätigen es. Umso eifriger wandte man sich dorthin, wo man sich vor dieser Zerstörungskraft sicher glaubte: hin zur Religion. Dort schienen die Gefühle gut aufgehoben. Thomas beschreibt die wahrhaft göttliche Liebe denn auch gar nicht ängstlich als Hingerissensein, als Ergriffenwerden: »Divinius est amor quam dilectio« – »Göttlicher als die (rational auswählende) Wertschätzung ist die Liebe.«
    Wie das konkret aussehen kann, zeigen die Mystiker, um die es im folgenden Kapitel geht. Diese Männer und Frauen lassen in ihrem Leben wie in ihren Texten etwas von der Abgründigkeit der Liebe erahnen, die erlebt, wer sich ihr ganz überlässt.

Der göttliche und der irdische Eros
    D ie Mystiker des Mittelalters sind von einem Unbekannten geprägt, dessen Pseudonym uns schon bei Thomas von Aquin begegnet war: Dionysius Areopagita. Der Name ist von einer biblischen Gestalt entlehnt, einem vom Apostel Paulus bekehrten Athener. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich ein nicht weiter identifizierbarer Autor aus dem 6. Jahrhundert. Weil die Maskierung so augenfällig ist, wird der Unbekannte auch Pseudo-Dionysius genannt – und seine Schriftensammlung praktischerweise gleich mit.
    Dionysius Areopagita fragt danach, wie der Mensch Gott erkennen kann. Er ist darin von Platon und vor allem vom Neuplatonismus beeinflusst. Anders als jene betont Dionysius jedoch, dass der Mensch Gott letztlich nicht erkennen könne. Der Versuch, von den Dingen dieser Welt auf ihren Schöpfer zu schließen, führt für ihn nicht zum letzten Ziel. Am Ende des Weges, so sagt er, bleibt nämlich nichts anderes übrig, als auf jede konkrete Aussage zu verzichten und sich das eigene Nichtwissen einzugestehen. Wer sich darauf einlässt, so verspricht Dionysius, der kann mit einer besonderen Liebeserfahrung beschenkt werden.
    Dionysius nennt die Liebe nicht, wie die Autoren des Neuen Testaments, Agape, sondern ganz bewusst Eros, und er identifiziert sie mit Gott. Gott ist für ihn der Inbegriff des Eros, man brauche sich vor dieser Bezeichnung nicht zu fürchten, versichert er. Gott als Eros fasst alles irdische Lieben in sich zusammen, er ist ihre Grundlage und Ursache. Als Eros wirkt er vereinigend – hier fällt der Begriff der »vis unitiva«, der vereinigenden Kraft, den später dann Thomas von Aquin aufgreifen wird. »Den Eros«, so sagt Dionysius, »… wollen wir als einende und vermischende Kraft begreifen, die die Höherstehenden zur Fürsorge für die Bedürftigeren bewegt, die Gleichrangigen dagegen zum gegenseitigen Zusammenhalt und zuletzt die Untergeordneten zur Hinwendung zu den

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