Ein unbeschreibliches Gefuehl
Lichtenberg. Eine Liebe hat umso bessere Chancen, je größer diese Vielfalt ist. Den Gedanken der Rollenvielfalt hat dann im 20. Jahrhundert der Begründer der Gruppenpsychotherapie, Jakob Levy Moreno, seinem Menschenbild zugrunde gelegt. Danach ist ein Mensch psychisch umso gesünder, je größer sein Repertoire an Rollen ist, weil ihm das erlaubt, flexibel auf die unterschiedlichsten Situationen zu reagieren. Für Liebesbeziehungen trifft das allemal zu: Je weniger die beiden Partner auf unveränderliche Rollenmodelle fixiert sind, desto bessere Chancen haben sie miteinander. Auf Morenos Grabstein in Wien steht, er habe das Lachen in die Psychiatrie gebracht. Lichtenberg hätte das sicher gefallen.
»Bei mir bist du schön«
B ay mir bistu sheyn« (»Bei mir bist du schön«), heißt es in einem weltberühmten jiddischen Musicalsong aus den 1930er Jahren. Tatsächlich – ohne Schönheit geht es in der Liebe nicht. Einer, der das im 18. Jahrhundert erkannt und philosophisch begründet hat, war David Hume. Selbst ist der Schotte keine Schönheit gewesen, mit einem mehr grobschlächtigen als geistvollen Gesicht und von geradezu fettleibiger Statur. Trotzdem gab es Phasen in Humes Leben, da er von Frauen umschwärmt war: als er nämlich, nach mehreren Versuchen, als Philosoph Fuß zu fassen, in der Position eines Gesandtschaftssekretärs für einige Zeit nach Paris ging. Hier nahm ihn die vornehme Gesellschaft um Madame de Pompadour begeistert auf. Ein adeliger Landsmann und Zeitgenosse berichtete, dass »kein Putz einer Frau damals als vollständig gelte, wenn sie nicht die Gegenwart von Hume hinzugefügt hätte«.
Sich selbst nannte David Hume freilich einen »Courmacher, der weder Ehemänner noch Mütter beängstigt«. Eine Heirat schien er nie in Betracht gezogen zu haben. Ist von ihm doch der Ausspruch überliefert: »Eine Frau? Ein solches Dekorationsstück ist völlig überflüssig, denn ich habe Bücher und sogar mehr als eins.« Trotzdem gehört er zu den Philosophen, welche die Liebe hochschätzen, ohne sie im Sinne Platons oder der kirchlichen Denker zu überhöhen oder sie, wie Descartes und Spinoza, als trügerische Leidenschaft zu deklarieren. David Hume befragt gar nicht erst die Welt der Ideen wie Platon. Er fragt die Natur! Dies aber nicht im Sinne Rousseaus, als »Natürlichkeit«, sondern empirisch, biologisch. Er vergleicht nämlich die zwischenmenschliche Liebe mit – derjenigen der Tiere! Das trug ihm später die Anerkennung Charles Darwins ein.
Für Hume ist der liebende Mensch ein biologisches ebenso wie ein soziales Wesen. Der Mensch ist auf Gemeinschaft angelegt. Wir brauchen die Liebe in ihren verschiedenen Spielarten – zwischen Eltern und Kindern, Verwandten, Freunden, Partnern – ganz unbedingt: »Vollständige Einsamkeit ist vielleicht die denkbar größte Strafe, die wir erdulden können. Jede Lust erstirbt, wenn sie allein genossen wird.« Biologische ebenso wie soziale Faktoren macht Hume nun auch in der Liebe zwischen Mann und Frau aus. Diese Liebe erklärt er aus der Verbindung von dreierlei Dingen, nämlich: »dem angenehmen Gefühl, das die Schönheit erzeugt, dem körperlichen Trieb der Fortpflanzung und einer edlen Zuneigung oder wohlwollenden Gesinnung«. Schönheit, Fortpflanzungstrieb (der Wunsch, den Stammbaum fortzusetzen) und Gefühle sind für ihn die Zutaten jeder Liebesbeziehung.
Es liegt Hume fern, das eine gegen das andere auszuspielen und etwa die »edle Zuneigung« für wertvoller zu erklären als die Freude an der Schönheit oder den Sexualtrieb. Von derlei platonisch anmutenden Wertmaßstäben ist hier nichts zu spüren. Im Gegenteil! Mit Theorien und Idealen, die sich nicht aus der Erfahrung speisen, sondern vor aller Empirie einfach gesetzt werden, also mit Metaphysik, konnte man den Schotten geradezu jagen: »Sehen wir die Bibliotheken durch, wie müssten wir dann hier aufräumen! Nehmen wir etwa ein theologisches oder metaphysisches Buch zur Hand, so müssten wir fragen: Enthält es eine abstrakte Untersuchung über Größe und Zahl? Nein! Enthält es erfahrungsgemäße Erörterungen über Tatsachen und Existenz? Nein! So übergebe man es den Flammen, denn es kann nur sophistische Täuschungen enthalten.«
Um derlei Täuschungen zu vermeiden, fragt Hume konsequent, worauf sich der Mensch in seinem Bemühen, etwas über die Welt und sich selbst zu erfahren, verlassen kann. Seine Antwort: Das einzig Sichere sind unsere äußeren und inneren
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