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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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»Ich-Du-Philosophie« genannt.
    Das hört sich zunächst einmal fast banal an. Klar geht es in jeder Begegnung von Menschen um ein Ich und ein Du! Doch halt, so selbstverständlich ist das nicht. »Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung«, schreibt Martin Buber in »Ich und Du«. Und weiter: »Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach den Grundworten, die er sprechen kann … Das eine Grundwort ist das Wortpaar Ich-Du. Das andere Grundwort ist das Wortpaar Ich-Es; wobei, ohne Änderung des Grundwortes, für Es auch eines der Wörter Er und Sie eintreten kann.« Und, letzte wichtige Aussage: »Das Ich des Grundworts Ich-Du ist ein andres als das des Grundworts Ich-Es.«
    Was meint Buber mit Sprechen? Sicher nicht die physische Lautäußerung. Gemeint ist vielmehr eine Haltung, die sich immer auch sprachlich äußert, da unser Bewusstsein und unser Zugang zur Welt ja über Sprache funktionieren.
    Die Ich-Es-Haltung, so sagt Buber, ist eigentlich die Haltung, die wir gegenüber den Dingen einnehmen. Sie besteht darin, dass wir die Dinge beurteilen und gebrauchen, dass wir sie zur Verfügung haben und wie selbstverständlich über sie bestimmen. Wenn wir mit dieser Haltung einem anderen Menschen gegenübertreten, ist klar, was passiert: Wir können dem anderen nicht gerecht werden, wir bestimmen und verfügen über ihn, wir lassen ihn nicht in seiner Eigenständigkeit. Wir behandeln ihn wie einen Gegenstand.
    Umgekehrt bedeutet die Ich-Du-Haltung, wirklich eine Begegnung zu gestalten. Da ist der andere nicht verfügbar, sondern steht uns gegenüber, als gleichberechtigter und freier Dialogpartner. Die Begegnung stiftet eine ganz andere Welt als die Welt der Dinge. Es ist die Welt der Beziehung, die hier entsteht. Sie wird im Zwischenraum zwischen zwei Menschen geboren, die im jeweils anderen ein Du sehen und kein Es. Und in solch einer Begegnung, so betont Buber, entsteht zugleich erst das Ich. »Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du.« Wir sind nicht ein »Selbst« unabhängig von Beziehungen, sondern unser Ich gewinnt Gestalt in den Beziehungen, die wir eingehen.
    Welche das sind, das haben wir nicht in der Hand, weil wir eben nicht über andere Menschen verfügen können wie über Dinge. »So ist die Beziehung Erwähltwerden und Erwählen, Passion und Aktion in einem.« Und: Sie knüpft sich ohne vermittelnde Instanz, direkt und unmittelbar. »Alles Mittel ist Hindernis. Nur wo alles Mittel zerfallen ist, geschieht die Begegnung.« Das, so sagt Buber, gilt für jede Beziehung, und natürlich erst recht für die Liebesbeziehung.
    Auch die Liebe ist nichts, was man »haben« kann wie einen Gegenstand. Sie ist etwas anderes als die Gefühle wie Freude oder Trauer. Sie ist überhaupt kein Gefühl, erklärt Buber. Denn Gefühle »hat« man, Liebe aber geschieht. »Gefühle wohnen im Menschen; aber der Mensch wohnt in seiner Liebe.« Diese Aussagen grenzen ans Metaphorische, und sie beinhalten, wie alle guten Metaphern, einen tiefen Sinn. Die Liebe existiert zwischen Ich und Du, sie begründet den Zwischenraum, der sich zwischen beiden bildet, und in diesem Raum hält man sich innerlich auf, wenn man liebt. Selbstredend funktioniert das nur auf Gegenseitigkeit.
    Buber entstammte dem osteuropäischen Judentum, sein Großvater, bei dem er als Kind lange lebte, erforschte die mystische Frömmigkeitsrichtung des Chassidismus. Auch Buber selbst ist in seinem Denken ohne diesen Hintergrund nicht begreifbar. »Die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im ewigen Du«, sagt er und meint damit die Gottesbeziehung. Auch die kann der Mensch ja, nach alter Tradition, nicht selbst »machen«. Martin Buber hat viele chassidische Erzählungen und Texte gesammelt, übersetzt und herausgegeben. Er selbst stand über den diversen jüdischen Frömmigkeitsrichtungen und pflegte auch einen intensiven Dialog mit christlichen Denkern. Einer Anekdote zufolge hat er in einem Gespräch über die unterschiedlichen Messiasvorstellungen von Christen und Juden vorgeschlagen, dereinst im Himmel den Messias einfach selbst zu fragen, ob er (in Gestalt Jesu Christi) schon einmal auf Erden gewesen sei oder nicht. Und dann, soll Buber gesagt haben, werde er den Messias zur Seite nehmen und ihm ins Ohr flüstern: »Um Himmels willen, sag jetzt bloß nichts!«
    In »Zwiesprache«, einem Text von 1932, nannte Buber den griechischen Gott Eros »flügelschlagend«, wenn die Liebe als Ich-Du-Begegnung

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