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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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funktioniert, und »flügellahm«, wenn in der Liebe jeder mehr sich selbst und den eigenen Vorteil sieht, also im Grunde einen Monolog führt statt eines Dialogs. Bubers Beschreibung des flügelschlagenden Eros wirkt sehr innig, ist eine schöne, feinnervige Beschreibung von Intimität: »Jenes Kopfneigen da drüben, du spürst, wie die Seele im Nacken es entbietet, spürst es nicht an deinem Nacken, sondern eben an dem da drüben, dem geliebten, und bist doch selber nicht etwa hinweggenommen, bist im verspürenden Selbersein hier.« Wer so »dialogisch« liebt, der spürt quasi in seinem eigenen Körper die Empfindungen, die der Körper des anderen hat, so sehr versetzt er sich in den anderen hinein.
    Wohingegen der flügellahme Eros sich in vielfältigen Spiegelungen seiner selbst erschöpft. Etwa, wenn jemand in der Liebe nur sein eigenes berauschendes Gefühl liebt. Oder mit dem anderen und dessen Gefühlen herumexperimentiert. Buber nennt viele Beispiele für den flügellahmen Eros und bezeichnet sie als Spiegel-Monologisten.
    Sein Bild von der Liebe wirkt schon sehr überzeugend. Aber natürlich fragt sich auch diesmal wieder, ob es nicht ein allzu fernes Ideal ist, zu fern, um alltagstauglich zu sein. Bringen wir es wirklich immer fertig, dialogisch zu lieben, also den anderen »pur« wahrzunehmen, rein als Gegenüber in einer Begegnung, ohne dabei eigene Interessen und Wünsche hineinzumischen?
    Buber selbst hat die Sache durchaus realistisch gesehen, indem er erkannte: Die Haltung, im anderen Menschen immer ein Du zu sehen, können wir nicht dauerhaft einnehmen. Etwas gravitätisch formulierte er es so: »Das aber ist die erhabene Schwermut unsres Loses, dass jedes Du in unsrer Welt zum Es werden muss … Die Liebe selbst kann nicht in der unmittelbaren Beziehung verharren; sie dauert, aber im Wechsel von Aktualität und Latenz.« Das heißt: Mal gelingt es uns, den anderen so zu lassen, wie er ist, und ihm wirklich gerecht zu werden in seiner Eigenständigkeit, und mal schleicht sich anderes, Trennendes in unsere Haltung hinein, Ungeduld oder Ungerechtigkeit zum Beispiel, Manipulationsversuche, Egoismus und vieles mehr.
    Der Rhythmus ist der gleiche wie der von Verschmelzung und Entfremdung in den Kosmogonien der Antike. Mal gelingt es uns, im anderen das Du zu sehen und eine Begegnung zu erleben, mal machen wir den anderen zum Es und gehen mit ihm um wie mit einem verfügbaren Ding, das wir benutzen. Aber immer wieder kann aus dem Es ein Du werden, denn das Du ist im Es verborgen da. »Das Es ist die Puppe, das Du der Falter.« Allerdings ist es schwer, beide Zustände sauber voneinander zu unterscheiden. Denn sie präsentieren sich uns nicht nacheinander, sondern oft in einem wirren Durcheinander. Und damit hat Buber ohne Zweifel recht. Versuchen wir also, wenn wir mal wieder mit der Puppe kämpfen, den Falter in ihr zu erkennen und anzusprechen.
    Martin Buber selbst hat seine Gedanken über die Liebe übrigens nicht im luftleeren Raum niedergeschrieben. Er war lange verheiratet, immer mit derselben Frau: mit der ein Jahr älteren Autorin Paula Judith Buber, geb. Winkler. Das Paar hatte einen Sohn und eine Tochter. Paula Winkler hatte ihren späteren Mann als Germanistikstudentin in Zürich kennengelernt. Als Katholikin konnte sie nicht nach jüdischem Ritus getraut werden, weshalb die beiden Kinder nicht ehelich geboren wurden. 1901 trat Paula Winkler aus der katholischen Kirche aus. 1907 konvertierte sie zum Judentum. Jetzt konnte das Paar offiziell heiraten. Paula zahlte dafür einen hohen Preis: Ihre Herkunftsfamilie verstieß und enterbte sie und brach den Kontakt auf Lebenszeit ab.
    Von 1916 bis 1938 lebten Paula und Martin Buber in Heppenheim. Dann mussten sie aus dem nationalsozialistischen Deutschland emigrieren. Sie gingen nach Palästina, wo Martin Buber fortan als Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrte. Ihr Haus in Heppenheim wurde in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 verwüstet, der Inhalt teilweise zerstört. In ihrem Roman »Muckensturm. Ein Jahr im Leben einer kleinen Stadt« (1953) schildert Paula Buber, wie der Nationalsozialismus in einer deutschen Kleinstadt Fuß fasst. Der Roman erschien, wie auch weitere, unter dem Pseudonym Georg Munk, denn Paula Buber wollte mit ihrem eigenen, durchaus erfolgreichen Werk nicht vom Namen ihres schon damals berühmten Ehemannes profitieren. Sie starb 1958 in Venedig, auf der Rückkehr von einer Reise mit ihrem Mann,

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