Ein unbezaehmbarer Verfuehrer
weiß es nicht. Aber sie bedeuten ihm nicht mehr als ein Hund oder ein Pferd. Es soll Männer geben, die ihren Pferden die Peitsche geben."
„Verdammt!” Kurz schloss er sein Auge, verharrte reglos, doch blieb ihm eine andere Wahl? Er gab sich einen Ruck, zog die Schublade wieder auf und nahm die beiden Pistolen heraus. „Pack eine Tasche, nicht mehr. Du hast zehn Minuten. Wir fahren nach London!"
Er sprach nicht mit ihr. Helen schwankte auf ihrem Sitz hin und her, als die Kutsche, die Alistair in Glenlargo gemietet hatte, durch eine tiefes Schlagloch rumpelte. Er hatte sich bereit erklärt, sie zu begleiten, ihr dabei zu helfen, die Kinder zu finden und vor Lister zu retten, aber mehr wollte er ganz offensichtlich nicht mit ihr zu tun haben. Aber gut, was hatte sie auch erwartet? Sie seufzte.
Sorgenvoll blickte Helen aus dem winzigen, ziemlich verdreckten Kutschenfenster und fragte sich, wo Abigail und Jamie gerade waren. Bestimmt hatten sie Angst. Lister war zwar ihr Vater, aber sie kannten ihn doch kaum, und zudem war Lister ein so entsetzlich kalter Mann. Jamie würde ganz still und verstockt sein vor Angst — oder aber er würde in seiner Aufgeregtheit und Nervosität die Kutschenwände hochgehen. Letzteres wollte Helen nicht hoffen, denn sie wagte zu bezweifeln, dass Lister ihn gut behandeln würde, wenn Jamie in Höchstform war. Abigail würde derweil alles still und sorgenvoll beobachten und sich ihre Gedanken machen. Blieb zu hoffen, dass sie sich mit Bemerkungen zurückhielt, denn ihre Zunge konnte bisweilen sehr spitz sein.
Aber nein, Lister war ein Mann von Stand. Natürlich würde er sich nicht selbst um die Kinder kümmern. Wahrscheinlich hatte er wieder gründlich vorausgeplant und eine Kinderfrau mitgebracht, vielleicht eine schon ältere, mütterliche Frau, die wüsste, wie mit Jamies Aufgekratztheit und Abigails düsteren Anwandlungen umzugehen war. Helen schloss die Augen. Sie wusste, dass es nur Wunschdenken war, aber bitte, lieber Gott, lass eine liebe, mütterliche Kinderfrau bei ihnen sein, die sie vor ihrem lieblosen Vater und seinen irrwitzigen Launen bewahrt. Wenn ...
„Was ist mit deiner Familie?"
Alistairs Stimme riss sie aus ihren Gedanken; sie öffnete die Augen. „Was?"
Er runzelte die Stirn. „Ich überlege gerade, wen wir gegen Lister auf unserer Seite haben könnten. Wir brauchen Verbündete. Kann deine Familie dir nicht helfen?"
„Wohl kaum", erwiderte sie knapp, doch als er sie weiterhin unverwandt anstarrte, gestand sie zögerlich. „Ich habe seit Jahren nicht mit ihnen gesprochen."
„Wie willst du dann wissen, dass sie dir nicht helfen würden?"
„Weil sie mir unmissverständlich zu verstehen gegeben haben, dass ich keine Carter mehr wäre, wenn ich zu Lister ginge."
„Carter?", fragte er und hob die Brauen.
Sie spürte, wie sie errötete. „Das ist mein richtiger Name — Helen Abigail Carter —, aber als Listers Mätresse konnte ich natürlich nicht Carter heißen, weshalb ich mich Fitzwilliam genannt habe."
Schweigend sah er sie an.
„Was ist?", fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. „Ich dachte nur gerade ... selbst dein Name war gelogen."
„Es tut mir leid. Aber ich wollte nicht, dass Lister mir auf die Spur ..."
„Schon gut." Er winkte ab. „Ja, ich verstehe es sogar. Aber das ändert nichts daran, dass ich mich frage, ob überhaupt etwas von dem, was ich von dir weiß, wahr ist."
Sie blinzelte, fühlte sich seltsam verletzt. „Aber ich ..."
„Was ist mit deiner Mutter?"
Sie seufzte. Offensichtlich wollte er nicht über das reden, was zwischen ihnen beiden war. „Als ich das letzte Mal mit ihr sprach, meinte sie, sie schäme sich meiner, und ich hätte den guten Namen der Familie besudelt. Man kann es ihr kaum zum Vorwurf machen; ich habe drei Schwestern, von denen noch keine verheiratet war, als ich mich mit Lister eingelassen habe."
„Und dein Vater?"
Sie blickte auf ihre im Schoß verschränkten Hände.
Eine Weile herrschte Schweigen, ehe Alistair wieder sprach. Seine Stimme war nun weicher, fast sanft. „Du hast ihn auf seinen Visiten begleitet. Dann standet ihr euch gewiss nahe?"
Die Erinnerung entlockte ihr ein schwaches Lächeln. „Die anderen hat er nie gefragt, nur mich. Margaret war die Älteste, aber sie fand, es wäre doch langweilig, wenn nicht gar abstoßend, Patienten zu besuchen, und meine beiden anderen Schwestern dachten wohl ähnlich. Timothy war der einzige Sohn, aber er war auch der Jüngste. Er war damals
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