Ein unerhörter Ehemann (German Edition)
bekommen!«, verkündete sie und sicherte sich durch ihren leicht hysterischen Ton endlich die Aufmerksamkeit ihrer Tochter.
»Was bekommen?« Doch Gina hatte es erraten, bevor ihre Mutter antworten konnte.
» Was bekommen? Einen Brief natürlich!« Lady Cranborne schrie beinahe. »Was soll ich nur deswegen unternehmen? Mein Bruder ist tot!«
»Nun ja, das stimmt«, erwiderte Gina. »Aber was hat sein Tod mit dem Eintreffen dieses Briefes zu tun?«
»Alles!«, stieß Lady Cranborne mit der schmerzvollen Stimme einer überreizten Ophelia hervor.
Gina wartete.
»Beim letzten Mal habe ich meinen Bruder zu Hilfe gerufen, und er hat die Angelegenheit in die Hand genommen. Er hat sich um alles gekümmert! Ich musste mir wegen dieses Briefes keine Sorgen mehr machen. Ich glaube, mein Bruder hat sogar einen Detektiv beauftragt, aber da er nie etwas erwähnte, hat der Mann wohl keinen Erfolg gehabt. Aber jetzt stehen wir ganz allein da! Auch Cranborne ist schon fünf Jahre tot. Obwohl der ja auch völlig nutzlos war, als wir den ersten Brief erhielten, vollkommen nutzlos! Alles, was ihm dazu einfiel, war: ›Hätte gedacht, die Frau würde den Mund halten.‹«
Gina hatte dieses Urteil über ihren verstorbenen Vater schon oft gehört und die ständigen Wiederholungen waren ermüdend.
»Zum Glück war Girton von ganz anderem Kaliber als mein Mann«, fuhr Lady Cranborne fort, ohne auch nur einmal Luft zu holen. »Zum Glück begriff er sofort die Notwendigkeit, dass du seinen Sohn heiraten musstest. Hätte die Entscheidung von deinem Vater abgehangen, so wärst du in ganz England als Bastard verschrien gewesen, bevor er überhaupt die Folgen überblickt hätte. Er war dumm wie ein Ochse!«
»Ja, aber, Mutter … «
»Mein Bruder hat die Sache einfach in die Hand genommen. Er wusste binnen zwei Sekunden, worum es ging, und rief Camden noch am gleichen Nachmittag aus Oxford zurück. Und am Tag drauf wart ihr bereits verheiratet. Wenn ich etwas bewundere, mein Kleines, dann sind es Männer der Tat. Was dein Vater beileibe nicht war!«
»Du hast noch einen Erpresserbrief bekommen?«
Doch Ginas Mutter schritt so aufgebracht im Zimmer auf und ab, dass sie die Frage nicht hörte. »Als du zu uns gebracht wurdest – als kleines Baby – , habe ich deinen Vater angefleht«, rief sie empört. »Ich habe gesagt: ›Cranborne, wenn du nur einen intelligenten Knochen im Leib hast, dann zahlst du dieses Weib aus!‹«
Gina seufzte. Das Gespräch würde ganz offensichtlich noch eine Weile dauern. Sie stand auf, hüllte sich in ihren Morgenmantel und setzte sich an den Kamin.
»Und hat er auf mich gehört? Hat er mir überhaupt zugehört ? Nein! Cranborne murmelte nur, wie distinguiert dieses Weib sei und dass sie ihrem eigenen Kind niemals schaden würde. Und was ist dann passiert?«
»Es ist doch gar nichts furchtbar Schlimmes geschehen«, entgegnete Gina. »Ich bin Herzogin geworden, hast du das schon vergessen?«
»Weil mein Bruder eingegriffen hat, ganz im Gegensatz zu Cranborne!«, stieß Lady Cranborne triumphierend hervor. »Dann traf der erste Brief ein. Und wer würde schon einen anonymen Brief schreiben? Doch nur ein Franzose. Also hat dieses Weib den Brief geschickt. Und diesen neuen Brief auch, daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben.«
»Mutter«, sagte Gina.
Lady Cranborne durchmaß mit langen Schritten das Zimmer.
»Mutter!«
»Was? Was ist?« Sie hielt mitten im Schritt inne. Fast sofort flog ihre Hand hoch und berührte ihre kunstvoll aufgetürmte Frisur. »Hast du etwas gesagt, Liebes?«
»Die Gräfin Ligny kann diesen Brief gar nicht geschrieben haben. Sie ist letztes Jahr gestorben.«
Lady Cranborne starrte ihre Tochter mit offenem Mund an. » Was? «
Gina nickte.
»Deine … deine … die Frau, die dich geboren hat, ist tot ? Unmöglich!«
»Mr Rounton hat es mir geschrieben und dem Brief eine Todesanzeige aus dem Pariser Express beigelegt.«
»Warum hast du mir das nie erzählt?«
Gina erkannte die Vorboten eines drohenden Wutanfalls. »Ich wollte dich nicht beunruhigen, indem ich die Gräfin erwähnte.«
»Und was hast du in der Sache unternommen?«
»Unternommen?«
»Ich kenne dich doch, Gina!«, fauchte die Lady. »Ich habe dich vielleicht nicht geboren, aber ich habe dich aufgezogen! Was hast du getan , nachdem du Rountons Brief erhalten hattest?«
»Ich habe einen Brief an ihren Nachlassverwalter geschrieben«, gestand Gina. »Ich wollte wissen, ob sie mir vielleicht eine
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