Ein unerhörter Ehemann (German Edition)
Nachricht oder etwas anderes hinterlassen hat … «
Lady Cranborne rauschte durch das Zimmer und tätschelte ihrer Tochter zärtlich den Kopf. »Es tut mir leid, mein Liebes«, sagte sie und drückte einen Kuss auf das rote Haar, das genau die gleiche Farbe hatte wie das der verruchten Gräfin Ligny. »Es tut mir wirklich leid. Die Gräfin war eine undankbare Närrin, auch wenn sich ihr Verlust für mich als Segen erwiesen hat.«
Gina atmete tief durch. »Es ist schon in Ordnung. Als sie noch lebte, hat sie keinerlei Interesse an mir gezeigt. Ich hatte nur gedacht, dass sie vielleicht … « Sie zuckte die Achseln. »Merkwürdig ist nur, dass … «
»Mein Gott!«, fiel ihr Lady Cranborne ins Wort und schlug die Hände vor den Mund. »Wenn es nicht dieses Weib … wenn es nicht Gräfin Ligny war, die den Brief geschrieben hat, wer war es dann?«
»Was steht denn in dem Brief?«
Ginas Mutter wühlte in ihrer Handtasche. »Hier ist er.« Er war in einer schwungvollen Handschrift auf Büttenpapier geschrieben.
Einen Augenblick lang tanzten die kunstvollen Schlingen und Windungen der Schrift vor Ginas Augen, sodass sie nicht imstande war, die Bedeutung der Worte zu entziffern. Dann jedoch sprang ihr der Sinn geradezu in die Augen.
Müsste der Marquis sie nicht meiden?
Die Herzogin hat einen Bruder .
»Ich habe einen Bruder«, flüsterte sie ungläubig. »Ich habe einen Bruder!«
»Wohl eher einen Halbbruder«, berichtigte Lady Cranborne. »Nach der Frankreichreise und ihren entsetzlichen Folgen habe ich deinem Vater keine Europareise mehr gestattet.« Sie besann sich. »Das war nicht so gemeint, wie es sich anhörte, Liebling. Du bist wahrlich ein Geschenk des Himmels. Ich danke Gott , dass dieses Weib nicht gewillt war, ihre eigenen Kinder großzuziehen. Der Herr allein weiß, wo dieser Bruder von dir steckt. Wahrscheinlich hat sie ihn dem Kindsvater aufgehalst, wie sie’s auch bei dir getan hat.«
»Aber wer sonst könnte diesen Brief geschrieben haben?«
»Offensichtlich ist die Gräfin zu leichtsinnig gewesen. Damals versicherte sie deinem Vater, niemand wisse von deiner Existenz. Sobald sie feststellte, dass sie enceinte war, zog sie sich auf ihren Landsitz zurück. Und dann wurdest du als Baby mit zarten sechs Wochen auf unsere Türschwelle gelegt.« Aus einem Impuls heraus gab sie ihrer Tochter einen Kuss. »Das war der glücklichste Tag meines Lebens.«
Gina lächelte. »Der glücklichste und der ärgerlichste, Mama.«
»Das stimmt. Aber an dem Tag erkannte ich Cranbornes Charakter. Sollte es noch einen größeren Dummkopf auf Gottes Erden geben, so habe ich ihn jedenfalls nie kennengelernt. Wenn ich Cranborne nicht an der kurzen Leine gehalten hätte, dann hätte er Kinder gezeugt wie die Kaninchen, das schwöre ich bei Gott.«
Ginas Blick ruhte wieder auf dem anonymen Brief. »Vielleicht schreiben sie ja noch einmal und verraten mir, wo mein Bruder sich aufhält.«
»Sie werden wohl eher Geld verlangen«, entgegnete die Mutter. »Dieser Brief ist doch eine klare Drohung. Was würde wohl Bonnington davon halten, dass du einen illegitimen Bruder hast?«
»Oh, er würde sich für … « Ihre Stimme versagte, bevor sie behaupten konnte, Sebastian würde sich für sie freuen. Tatsache war nämlich, dass Sebastian nach Ginas Geständnis über ihre Herkunft – dass sie in Wahrheit das uneheliche Kind ihres Vaters mit einer französischen Gräfin sei – jedes weitere Gespräch über diese Schande tunlichst vermieden hatte. Gina argwöhnte sogar, dass er am liebsten nie etwas davon erfahren hätte. Denn die offizielle Version, nach der Gina eine Waise war, die Tochter eines entfernten Vetters von Lady Cranborne, war natürlich viel angenehmer.
»Er wird es gar nicht gut aufnehmen«, prophezeite Lady Cranborne. »Er wird äußerst verschnupft sein«, fügte sie mit unterdrücktem Kichern hinzu.
Gina musste zugeben, dass es stimmte. »Es wird ihm mit Sicherheit missfallen. Vor allem, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Verfasser das Gerücht verbreitet.«
»Zum Glück war es deinem Vater nicht erlaubt, sich in die Verwaltung unseres Anwesens einzumischen. Deshalb sind wir wohlhabend genug, um uns das Schweigen dieses grässlichen Menschen zu erkaufen.«
Gina setzte sich an das Fußende des Bettes. »Ich weiß nicht, ob das so klug wäre«, sagte sie vorsichtig. »Der Erpresser hat immerhin Geduld bewiesen, nicht wahr? Onkel Girton hat damals die Gefahr meiner gesellschaftlichen Bloßstellung
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