Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
intensiv leuchten.
Innerlich kochte er vor Wut und Enttäuschung über Beatrices Brief. Er legte ihn aus der Hand. «Überhaupt nicht, Lily. Ich mag Daniel sehr gern, das weißt du doch.»
Was spielte es schon für eine Rolle, dass sie ihn nie zum Lachen brachte, dass er sich nicht danach sehnte, ihr seine Gedanken anzuvertrauen, und dass sie noch nie vom Symposion oder von Monet gehört hatte?
Lily sah ihn schweigend an.
«Es gibt eine natürliche Lösung für eure Probleme», sagte er. «Heirate mich, Lily.»
Wenn Beatrice ihn nicht wollte, taten das andere. Er war nicht dumm und hatte Lilys Signale durchaus bemerkt. Im Grunde war es völlig naheliegend, dass sie heirateten.
«Es wäre mir eine Ehre, deine Frau zu werden», antwortete Lily ruhig. Sie faltete die Hände, und Seth nahm an, dass er sie jetzt küssen sollte.
«Ich werde mit Henriksson sprechen, er wird sich um die Details kümmern», sagte er nur. Er verbeugte sich und verließ das Zimmer.
Lily blieb allein zurück und wusste nicht recht, was sie tun sollte. Das war wahrlich ein finsterer Heiratsantrag gewesen, aber sie konnte es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Sie warf einen Blick auf den Brief, den Seth auf dem Tisch hatte liegen lassen. Ihr Gewissen verlor den Kampf gegen ihre Neugier, und rasch nahm sie das dünne Papier und blickte auf die paar Zeilen. Der Name Beatrice Löwenström war das Einzige, was sie erfassen konnte, denn der Brief war auf Schwedisch abgefasst. Doch sie hatte sehr wohl gesehen, dass der Inhalt Seth getroffen hatte. Mit einem letzten Blick auf den Namen legte sie das Schreiben wieder auf den Tisch und seufzte tief und erleichtert.
Für sie und ihre Familie würde jetzt alles in Ordnung kommen.
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30
Göteborg
Januar 1882
Harriet saß neben ihrer Tochter. Das neue Jahr war gekommen, und Sofias Zustand hatte sich nur weiter verschlechtert. Sogar Doktor Eberhardt, der sich nur selten beeindrucken ließ, hatte besorgt gewirkt, als er die fast leblose Gestalt im Bett wieder untersucht hatte. Harriet drückte Sofias dünne Hand und kämpfte mit den Tränen. Sollte sie tatsächlich noch ein Kind verlieren? Sie gestattete sich nur selten einen Gedanken an die zwei Kleinen, die sie hatte begraben müssen. Keines hatte sein erstes Jahr überlebt, und Harriet wusste, dass sie nicht um sie trauern sollte, dass sie lieber dankbar sein sollte für die Dinge, die Gott ihr in seiner Barmherzigkeit geschenkt hatte. Doch manchmal konnte sie den Gedanken an die flaumigen kleinen Köpfchen, an die weichen Wangen und die nachdenklichen Augen nicht unterdrücken.
Harriet blickte auf ihre Tochter, die im Schlaf leise wimmerte. Sie war eine schlechte Mutter gewesen, dachte sie beschämt, denn nur eine schlechte Mutter konnte eifersüchtig auf die Schönheit und die glückliche Ehe ihres eigenen Kindes sein. Und jetzt bekam sie ihre Strafe.
Sie betrachtete ihre sterbende Tochter.
Sofia stöhnte heiser und schlug die Augen auf. «Mama? Was tust du hier? Es muss doch mitten in der Nacht sein. Du solltest schlafen.»
«Psscht, mein Schatz, ich leiste dir doch nur Gesellschaft.»
Sofia blinzelte erstaunt. Es versetzte Harriet einen Stich ins Herz, als ihr klar wurde, dass ihre Tochter keine Zärtlichkeitsbekundungen von ihr gewöhnt war. «Wie geht es dir?», erkundigte sich Harriet.
«Ich habe Durst.»
Harriet nahm die Karaffe vom Nachttisch, goss ihrer Tochter ein Glas Wasser ein und gab ihr zu trinken.
Plötzlich fiel Sofia auf ihr Kissen zurück.
«Sofia?», rief Harriet erschrocken. Ihre Tochter wand sich in heftigen Krämpfen, und ihre Augen waren so verdreht, dass man nur noch das Weiße sah.
Beatrice erwachte von einem Schrei und wusste sofort, dass es um Sofia ging. Während der verzweifelte Laut noch durchs Haus hallte, warf sie ihren Morgenrock über und stürzte aus ihrer Kammer. Vor der Tür zum Krankenzimmer traf sie mit Johan zusammen, ohne ein Wort zu wechseln, gingen sie hinein. Sofias Körper wurde von einem Krampf nach dem anderen heimgesucht, und Harriet schluchzte laut. Erschrocken eilte Beatrice zu ihrer Cousine, während Johan in den Korridor rief: «Schnell, ruft Doktor Eberhardt! Sofort!»
Er wandte sich an seine hysterische Schwiegermutter. «Hör auf zu schreien oder verschwinde», befahl er, und Harriets Schluchzen verebbte zu einem stillen Weinen.
«Du …» Johan zeigte auf ein verschrecktes Dienstmädchen, das auf der Schwelle aufgetaucht war. «Weck alle
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