Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
bist du weggefahren.»
Zum ersten Mal brach ihre Stimme, und er spürte, wie sich ein schrecklicher Schmerz in seinem Körper ausbreitete.
«Du wolltest einen Wagen schicken», fuhr sie leise fort. «Ich wollte dir so gern alles erzählen. Aber es kam kein Wagen. Und auch kein Brief. Dann erfuhr ich zufällig, dass du Lily nach England begleiten wolltest.» Sie lächelte schuldbewusst. «Ich habe heimlich einen deiner Briefe an Johan gelesen, und ich glaube, in dem Moment habe ich einfach aufgegeben. Wilhelm setzte mir zu und drohte mir, und ich erklärte mich mit der Hochzeit einverstanden, sobald Sofia genesen wäre. Ich war so feige. Er drohte mir, mich auf die Straße zu setzen und mich vor allen Leuten bloßzustellen. Ich weiß nicht, ob er es getan hätte. Doch die Situation wäre so oder so unerträglich geworden. Außerdem musste ich es für Sofia tun. Sie war so krank. Und als ich dann erfuhr, dass Lily und du …» Beatrice verstummte.
«Was ist dann passiert?», fragte er leise.
Sie blickte auf ihren Schoß und zupfte an einem losen Faden an ihrem Morgenmantel. «Er hat mich geschlagen, als er entdeckte, dass ich nicht mehr unschuldig war», sagte sie.
«Hat er dich vergewaltigt?»
«Viv behauptet, es war eine Vergewaltigung, auch wenn wir verheiratet waren. Ja, er hat mich vergewaltigt, und dann hat er mich wieder geschlagen. Und mir die Haare abgeschnitten.» Traurig zog sie an einer ihrer widerspenstigen Locken. «Ich glaube, er wollte mich totschlagen, aber es ist ihm nicht gelungen.» Sie zuckte mit den Schultern. «Das ist lange her. Passenderweise ist er dann in einem Bordell gestorben.» Ruhig sah sie ihn an und begegnete seinem schockierten Blick. Dann nickte sie langsam.
«Deswegen wusste ich, dass du Albträume hast. Ich hatte monatelang auch immer so schreckliche Träume. Aber inzwischen ist es besser geworden. Viel besser sogar.»
Rosenschöld hatte Beatrice also geschlagen, dachte Seth. Er hatte sie misshandelt und geschändet. Weil sie nicht mehr unschuldig gewesen war. Weil sie ihre Unschuld einem anderen Mann geschenkt hatte – nämlich ihm. Er war der Grund dafür, dass Beatrice so brutal behandelt worden war. In einer Ehe, zu der sie von dem Mann gezwungen worden war, der sie eigentlich hätte beschützen müssen. Und Seth selbst hatte sie verlassen, war nach Amerika gefahren und hatte sein gekränktes Ego gehätschelt.
Was hatte er angerichtet? Welche Gräuel hatte sie wegen ihm durchlitten! Sie wirkte völlig ruhig, doch ihre Hände bewegten sich nervös, und Seth nahm sich zusammen, um seine Selbstverachtung beiseitezuschieben. Er wollte sie jetzt nicht auch noch mit seinen eigenen Gefühlen belasten. Aber da waren doch gewisse Dinge, die er wissen musste.
«Du sagst, dass du meine Briefe nicht bekommen hast. Und dass der Wagen nicht gekommen ist. Aber ich habe dir geschrieben. Und ich habe einen Wagen geschickt, ich schwöre es. Das musst du mir glauben», sagte er.
«Ich will dir ja gerne glauben, aber ich würde in diesen Dingen niemals lügen», erwiderte sie.
Er überlegte und fügte die verschiedenen Puzzleteilchen zusammen, bis sie ein unschönes, aber sehr einleuchtendes Muster ergaben. «Edvard war die ganze Zeit in Göteborg, nicht wahr?», fragte er.
«Ja», bestätigte Beatrice.
«Er hasst mich», sagte Seth langsam. «Und er ist ein richtig schlimmer Mensch.»
«Edvard?» Beatrice runzelte die Stirn, doch Seth sah ihr an, dass sie im Grunde nicht überrascht war.
«Er muss meine Briefe unterschlagen haben», fuhr er fort. «Ich habe dir geschrieben, und es verging kein Tag, an dem ich nicht an dich gedacht hätte.»
«Edvard hat sich in Göteborg wirklich immer merkwürdiger verhalten», meinte Beatrice nachdenklich. «Und aus Stockholm drangen ganz seltsame Gerüchte zu uns.» Sie betrachtete Seth ernst. «Er hat schlecht über dich geredet, weißt du? Er sagte, du wärst dafür bekannt, Frauen zu zerstören.» Sie zuckte mit den Schultern. «Und da ich nichts mehr von dir hörte, dachte ich, dass Edvard recht hätte und es dumm von mir wäre, etwas anderes zu glauben. Er fuhr mit uns nach Stockholm, als die Hochzeit stattfinden sollte. Doch dann verschwand er, wohin, weiß ich auch nicht. Man munkelte etwas von einem Prozess, er soll einem jungen Mädchen etwas angetan haben, aber ich brachte es nie fertig, mir diesen ganzen Klatsch anzuhören, ich hatte genug mit mir selbst zu tun.» Sie sah ihn wieder an. «Und Doktor Eberhardt?», fragte sie nun.
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