Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
glaube, Seth würde sich lieber die Hand abhacken, als mich um einen Tanz zu bitten», antwortete Beatrice aufrichtig. Sie sah Seth an und wusste selbst nicht recht, was sie empfand. Wollte sie überhaupt mit ihm tanzen? Nach dem gestrigen Streit in seinem Zimmer war er ihr aus dem Weg gegangen. Zerstreut strich sie sich über die Hüfte. Mademoiselle Colette legte Wert darauf, die weiblichen Formen deutlich zu betonen, und überdies war das bronzefarbene Kleid so tief ausgeschnitten, dass Beatrice bei der ersten Anprobe rot geworden war. Es war aus dem zartesten Seidenstoff und nur mit hauchdünnen Chiffonärmeln versehen, die die Schultern gerade eben streiften. Ihr Haar hatte sich Beatrice von ihrer Zofe hoch aufstecken lassen, um Viviennes Diamantkette besser zur Geltung zu bringen. Während sie sich frische Luft zufächelte, spürte sie, wie sich ihr im Nacken und auf den Armen die Härchen aufstellten. Obwohl das Gewitter noch weit weg war, war die Luft fast elektrisch. Alles war aufgeladen.
Beatrice sah Seth an, der immer noch dort stand, wo man ihn stehen gelassen hatte. Sie legte den Kopf schräg und blickte ihn herausfordernd an.
Du lieber Gott, ihr Kleid wird aber auch nur von ein bisschen gutem Willen gehalten, dachte Seth. Und beim Anblick ihrer Hochsteckfrisur überkam ihn die Lust, die Haarnadeln eine nach der anderen herauszuziehen, um ihr dann mit den Fingern durch die weichen Locken zu fahren und sie so zu küssen, dass sie den Verstand verlor. Wie damals in Göteborg. Sie sieht so selbstsicher aus, wie sie da steht und mich herausfordernd anschaut, dachte er. Wahrscheinlich glaubte sie, dass er sie auf keinen Fall auffordern würde, und genau das hatte er sich auch vorgenommen, bis sein Blick an ihren mitternachtsblauen Augen hängen blieb. Er hatte doch keine Angst vor Beatrice und ihrer Ausstrahlung, redete er sich ein. Er war Herr seiner selbst und ging Herausforderungen nicht aus dem Weg. Im Gegenteil, er nahm sie an. Es wäre natürlich klüger, darauf zu verzichten, dachte er, sich auf dem Absatz umzudrehen und sie stehen zu lassen, doch er wollte sie noch einmal im Arm halten, und ein Tanz bot ihm den besten Vorwand dafür. Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum und sah, wie sich ihre Augen weiteten. Damit hatte sie tatsächlich nicht gerechnet.
«Madame, darf ich bitten?» Er streckte die Hand aus. Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte sie, und zum ersten Mal seit seiner Ankunft auf Château Morgaine lächelte Seth.
Beatrice warf den Kopf in den Nacken, und die Diamanten an ihrem Hals glitzerten. Dann legte sie ihre Hand in seine, und seine Finger schlossen sich um die ihren. Sie hielt seinen Blick unverwandt fest, und Seth sah, dass auch sie diese Spannung zwischen ihnen spürte. Er zog sie an sich, und widerstandslos sank sie in seine Arme. Ihr Kleid raschelte leise. Langsam legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Seth schmiegte seinen Arm um ihre Taille, und plötzlich sah er die Sorge in ihren großen Augen. Er zog sie noch fester an sich.
«Sie haben doch wohl keine Angst vor mir, Madame?», flüsterte er herausfordernd.
Er spürte, wie sie sich versteifte, und die Erinnerungen brachen über ihn herein wie eine Flutwelle. Auch sie konnte niemals einer Herausforderung widerstehen, seine Beatrice. Abgesehen davon, dass sie nicht die Seine war und es auch niemals sein würde. Außer für eine kurze Zeit in Göteborg. Sein Griff wurde fester.
Als die Musik begann, schien sie sich wieder gefangen zu haben. Ruhig und gesammelt glitt sie mit ihm über die Tanzfläche. Es war ein Walzer – genauso wie ihr erster Tanz in Stockholm. Aus dem Augenwinkel sah er Alexandre und Lily, doch er konnte nicht das geringste Interesse für die beiden aufbringen. Nicht, während er Beatrice im Arm hielt. Er wusste, dass sie beobachtet wurden, von Vivienne und Jacques, von Lily und Alexandre, doch es war ihm gleichgültig. In diesem Moment gab es nur ihn und Beatrice. Sie hatte zugenommen und war nicht mehr so dünn wie in Göteborg, als sie sich in seinem Zimmer geliebt hatten. Die neuen Kurven stehen ihr, dachte er. Diese neue Beatrice war großartig. Er betrachtete die goldenen Sommersprossen, die ihn immer noch jede Nacht heimsuchten. Lily hatte eine makellose Haut und vollendete Gesichtszüge, doch Beatrice war lebhaft, rothaarig, sommersprossig und unberechenbar.
Sie war perfekt.
Und sie hatte sich gegen ihn entschieden.
Die Musik verstummte, und Beatrice fragte sich, was nun
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