Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
einen Schritt, trat vorsichtig über die Schwelle und spähte hinein.
Seth lag ganz still in seinem Bett, und Beatrice stellte verlegen fest, dass er schlief. O Gott, wie dumm sie sich vorkam. Er hatte nur im Schlaf geredet. Langsam wich sie wieder zurück.
«Nein, geh nicht», flüsterte Seth mit derselben gequälten Stimme, die sie vorhin gehört hatte.
Beatrice schauderte. Doch dann war es wieder still, und schließlich spähte sie doch noch einmal zu seinem Bett. Er schlief immer noch. Sehnsüchtig warf sie einen letzten Blick auf ihn. Seth schlief mit nacktem Oberkörper, und seine dunkle Haut hob sich von der weißen Bettwäsche ab. Ein Laken hatte sich um sein Bein gewickelt. Gerade schlug sie die Augen nieder und wandte sich zum Gehen, als er plötzlich einen lauten Schrei ausstieß. Erschrocken fuhr sie zusammen. Sie drehte sich um und entdeckte, dass er sich im Bett aufgesetzt hatte. Er atmete schwer und starrte ins Leere, und sie überlegte, ob er wohl immer noch schlief. Sie hatte ihn stets als unverletzlich betrachtet, doch jetzt sah er völlig verschreckt aus.
«Seth?», flüsterte sie.
Er ließ sich auf sein Kissen zurückfallen. «Nein, hör auf», rief er heiser.
Inzwischen hatte sie selbst schreckliche Angst, doch sie konnte ihn doch nicht einfach so allein lassen. Mit stockendem Atem ging sie zu ihm und setzte sich auf die Bettkante. «Wach auf, es ist nur ein Traum», sagte sie sanft. Er schlug die Augen auf und starrte sie an. «Seth?»
«Bitte, tu das nicht», wimmerte er.
«Keine Sorge», flüsterte sie, «du träumst nur, es ist alles in Ordnung.»
Sie nahm seine große warme Hand, und Seth drückte die ihre so fest, dass es fast schon wehtat. Mit schmerzendem Herzen blieb sie bei ihm sitzen und genoss das Gefühl, von Seth gebraucht zu werden. Auch wenn es nur im Schlaf war.
Nach einer Weile erwachte Seth. Er schlug die Augen auf und sah jemand an seinem Bett sitzen. «Beatrice?», fragte er verwirrt.
Sie lächelte, und er bemerkte, dass sie seine Hand hielt. «Du hattest einen Albtraum. Ich konnte dich nicht allein lassen», sagte sie sanft.
«Wie bist du hier reingekommen?», fragte er heiser. «Du solltest nicht hier sein.» Wie oft hatte er nicht schon geträumt, sie wäre bei ihm?
«Nein, das sollte ich wohl wirklich nicht.» Sie zog ihre Hand zurück.
«Ich habe geträumt», sagte er. «Meine üblichen Träume.»
«Wovon handeln deine Träume?»
«Vom Krieg», antwortete er müde. «Immer vom Krieg. Und von denen, die starben. Von allen, denen ich nicht helfen konnte.» Er rieb sich die Augen. «Ich habe so schreckliche Sachen gesehen, Beatrice, Sachen, die niemals hätten passieren dürfen. Aber ich habe schon lange keinen so schlimmen Traum mehr gehabt. Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe.»
Er sah in ihr blasses, ernstes Gesicht, und da dämmerte es ihm. «Du hast auch solche Träume», sagte er. «Deswegen hast du es gleich verstanden.»
«Ja.»
«Wovon handeln deine Träume?», fragte er. Doch er wusste es im nächsten Moment selbst. «Von ihm?»
«Mittlerweile sind sie fast verschwunden», erwiderte sie leise. «Es hat geholfen, mit Vivienne darüber zu sprechen. Jetzt träume ich nur noch selten davon.»
Beim Klang ihrer tonlosen Stimme schauderte Seth. «Beatrice, was ist eigentlich passiert, als ich fort war?», fragte er vorsichtig.
Sie schwieg so lange, dass er schon dachte, sie wollte ihm gar nicht antworten. «Sie haben mich gezwungen», sagte sie schließlich. Sie wich seinem Blick immer noch aus, doch Seth sah, wie sich ihre Brust unter dem dünnen Stoff immer schneller hob und senkte. Er widerstand dem Impuls, ihre kleine Hand zu ergreifen und sie zu trösten, denn er hatte Angst, sie könnte die Geste missverstehen.
Schließlich fuhr Beatrice leise fort: «Onkel Wilhelm hätte Sofia mit Rosenschöld verheiratet, wenn ich nicht gehorcht hätte. Rosenschöld hatte im Gegenzug versprochen, Edvard den Weg in die feine Gesellschaft zu ebnen. Ich sei es ihnen schuldig, meinte Onkel Wilhelm, weil sie sich nach Papas Tod meiner angenommen hatten. Ich hatte keine andere Wahl.»
Seth starrte sie an. Er wusste nicht recht, ob er sich verhört hatte. Gezwungen?
«Warum hast du mir denn nichts gesagt? Ich hätte etwas unternehmen können.» Langsam ging ihm die Tragweite dessen auf, was sie ihm da erzählte. «O Gott», flüsterte er.
«Ich wollte es dir in Göteborg erzählen, nachdem wir zusammen gewesen waren.» Sie errötete leicht. «Aber dann
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