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Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)

Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)

Titel: Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simona Ahrnstedt
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unterdrückte den Drang, nach Luft zu schnappen. Der dritte Reiter, ein Junge um die fünfzehn, war gerade abgesessen und kam nun zu ihnen.
    «Das ist mein Bruder Christian», stellte Seth ihn vor.
    «Freut mich, Sie kennenzulernen», sagte Beatrice zu dem jungen Mann.
    «Das Vergnügen ist ganz meinerseits», erwiderte der und bedachte sie mit einem Lächeln, das dem seines älteren Bruders so sehr ähnelte, dass Beatrices Herz einen Sprung machte. «Mein Bruder hat mir schon von Ihnen erzählt, Fräulein Beatrice.»
    «Wirklich?», fragte sie. «Was hat er denn so gesagt?»
    «Dass Sie ein Talent haben, ins Fettnäpfchen zu treten.»
    Von Seth kam ein erstickter Laut, und Beatrice sah ihn fragend an.
    Da wurden sie von Sofias Stimme unterbrochen: «Bea, komm, Johan will uns die Strandpromenade zeigen», rief sie.
    Beatrice winkte zurück und wandte sich dann an Seth. «Ich nehme an, ich muss Sie wohl mitnehmen», sagte sie. «Falls ich schon wieder in ein Fettnäpfchen trete, aus dem ich gerettet werden muss, meine ich. Kommen Sie auch mit, Christian?»
    Christian warf Seth einen Blick zu, und sein Bruder schüttelte warnend den Kopf. «Ich glaube, ich suche erst mal Olav», verkündete Christian und unterdrückte ein Lachen. «Unseren Pflegevater», fügte er für Beatrice hinzu.
    «Gute Idee, kleiner Bruder», lobte Seth und bot Beatrice den Arm.

    Die beiden stapften über den winterlichen Strand. Vor ihnen zeigte Johan Sofia die Landmarken und Sehenswürdigkeiten.
    «Vorsicht», sagte Seth, wies auf eine Eisplatte und reichte Beatrice die Hand, damit sie nicht ausglitt.
    «Danke», sagte sie, um ihn gleich danach aber hastig wieder loszulassen.
    Seth freute sich, Beatrice eine Weile für sich allein zu haben. Sie hatte ein bisschen Farbe bekommen. Ihre Nasenspitze war deutlich gerötet, und wegen der Kälte schniefte sie leicht. Trotz des dunklen Schals, des schwarzen Mantels und der robusten Stiefel fand er sie sehr attraktiv.
    «Wie kommt es eigentlich, dass Sie bei Ihrem Onkel leben?», wollte er wissen.
    «Ich bin bei meinem Vater aufgewachsen, aber er starb, als ich vierzehn war. Er ist ertrunken.»
    «Wie ist das denn passiert?»
    «Papa war Professor und Dozent an der Universität von Uppsala. Er reiste viel, und zuletzt investierte er seinen ganzen Besitz in eine Südamerika-Expedition. Dort wollten sie nach neuen Orchideenarten suchen, glaube ich.» Beatrice zuckte mit den Schultern. «Sie waren ein halbes Jahr fort, und dann sank das Schiff auf dem Heimweg. Und alle sind ertrunken.»
    Im Stillen wunderte sich Seth, wie ein Familienvater den Seinen so etwas Wahnwitziges antun konnte. «Und Ihre Mutter?», fragte er stattdessen.
    «Mama starb im Kindbett, als ich sechs Jahre alt war.»
    Er sah sie an. Sie trocknete sich die Nasenspitze gerade mit einem Handschuh und lächelte entschuldigend.
    «Das kommt von der Kälte», erklärte sie.
    «Und wer hat sich um Sie gekümmert, wenn Ihr Vater verreiste?», erkundigte er sich.
    «Papas Studenten. Sie haben ihn alle vergöttert, und sie haben abwechselnd für mich gesorgt. Ich glaube, es war so eine Art Ehrensache für sie, sich in den Monaten seiner Abwesenheit um Professor Löwenströms Tochter zu kümmern. Auf diese Weise habe ich alle möglichen passenden und unpassenden Dinge gelernt. Debattieren, Schlittschuhlaufen, deutsche Verben konjugieren.»
    Seth sah sie an. Daher kam also diese Verletzlichkeit, die hie und da aufblitzte, dachte er. Sie war viel allein gewesen. «Das klingt ja ganz schön einsam», sagte er rau.
    Sie lächelte. «Ich hatte keine Not zu leiden, und Papa liebte eben Abenteuerreisen und neue Entdeckungen.»
    Mehr als mich. Diese Worte hingen unausgesprochen in der Luft.
    «Und was geschah dann?»
    «Ein paar Wochen nach Papas Tod kam Onkel Wilhelm nach Uppsala und setzte mich davon in Kenntnis, dass es seine Pflicht sei, mich bei sich aufzunehmen.» Beatrice schüttelte den Kopf. «Wir hatten uns vorher kaum jemals gesehen, aber ich hatte keine Wahl, denn ich hatte ja keine anderen Verwandten. Also bin ich nach Stockholm gezogen, und dort wohne ich seither.»
    Seth fragte sich, was sie in den Wochen davor gemacht hatte, ohne Verwandte und ohne Geld. Außerdem war sie noch ein ganz junges Mädchen gewesen. Er selbst hatte zumindest immer Olav gehabt – wenn es zu Hause auch oft armselig gewesen war, der Pfarrer, sein Pflegevater, war immer für ihn da gewesen. Beatrice hingegen hatte wochenlang keinen Menschen gehabt. Sie hätte

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