Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
hätte er über sich selbst gelacht. Aber war er nicht voller Vorfreude gewesen, als er erfahren hatte, dass Beatrice nach Irislund kommen würde? Vorfreude? Seth schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so etwas empfunden hatte.
Aus dem Augenwinkel sah er ihre rote Nasenspitze und die geröteten Wangen. Beatrice war nicht eine der perfekten, selbstbewussten Schönheiten, die reiche Männer wie ihn normalerweise umgaben. Frauen, die genau wussten, wie man sich benahm und wie die Regeln lauteten. Seth hatte immer vorgehabt, so eine Frau zu heiraten, eine Adelige mit einer Ahnentafel, die bis ins 13. Jahrhundert zurückging, und mit Verwandten in wichtigen Stellungen im Land. Das war einfach die logische Folge seines erfolgreichen Aufstiegs, und damit hätte er seine Stellung in der Elite auch für die Zukunft gesichert. Immer vorausgesetzt natürlich, dass ihn eine solche Frau ausreichend interessieren würde. Diejenigen, die er bis jetzt kennengelernt hatte, wären bestimmt gute Ehefrauen, dachte er und seufzte im Stillen. Sie waren gebildet und schön, und manche waren sogar überraschend feurig im Bett. Doch sie waren wie sorgfältig hochgezüchtete Tiere. Alle unerwünschten Eigenschaften waren abgeschliffen worden, bis nur noch eine perfekte Oberfläche und ein tadelloses Inneres übrig waren. Bislang war es ihm nie aufgefallen, wie gereizt es ihn machte, dass diese Frauen immer derart zufrieden und kühl waren, so gemäßigt in allen Dingen.
Verstohlen musterte er Beatrice. Nicht einmal er würde es über sich bringen, sie zu zerstören. Außerdem war sie von den Eltern eines seiner besten Freunde und Geschäftspartner eingeladen worden. Sie hatte ja sogar eine Anstandsdame dabei, du liebe Güte. Er seufzte noch einmal.
Wenn Seth noch einmal seufzt, schreie ich, dachte Beatrice. Sie war so sicher gewesen, dass er sie wieder küssen würde. Doch sie setzten einfach nur ihren Spaziergang fort, am Wasser und am Eis entlang, immer hinter Johan und Sofia, Seite an Seite, ohne sich auch nur zu streifen. Heimlich musterte sie sein Gesicht und fragte sich, was er wohl dachte. Er sah schrecklich grimmig aus. Sie bereute es schon, so offenherzig gewesen zu sein. Seth hatte nichts mehr gesagt, seit die Geschichte ihres haarsträubenden Hintergrunds aus ihr herausgesprudelt war. Dabei war er ja kaum zu Wort gekommen, sie hatte fast ununterbrochen geredet. Gequält dachte sie daran, wie sie von ihren Eltern gesprochen hatte. Eltern. Sie war doch keine dreizehn mehr, oder? Mit seiner warmen Stimme und seinen ermunternden Worten hatte er sie zum Weiterreden aufgefordert, als wäre sie die interessanteste Frau der Welt. Sie schloss die Augen und versuchte, ein Schaudern zu unterdrücken, doch Seth entging es nicht. Ihm schien überhaupt gar nichts zu entgehen.
«Frieren Sie? Sollen wir zurückgehen?»
Beatrice schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass sie noch Ewigkeiten mit ihm hier würde herumspazieren können. Sollte sie es denn nicht besser wissen?, dachte sie und trat mit dem Stiefel in einen kleinen Schneehaufen. Sie konnte doch nicht allen Ernstes dem ersten Mann verfallen, der sie jemals geküsst hatte? Das war doch wohl gar zu unreif.
«Karin Hielm hat erwähnt, dass Sie am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen haben», sagte sie schließlich, um irgendwie das Schweigen zu brechen.
Seth musste sich beherrschen, um bei dieser Frage nicht das Gesicht zu verziehen. Von allen Gesprächsthemen musste sie sich ausgerechnet dieses aussuchen. «Ja?», sagte er kühl. Die Faszination, die manche Frauen Krieg und Gewalt entgegenbrachten, hatte ihn schon immer abgestoßen.
Sie zuckte verunsichert mit den Schultern. «Ich hatte mich nur gefragt, wie Sie dazu gekommen sind.»
«Ich war achtzehn, hatte in Karlberg gerade mein Offizierspatent erworben und bin mit meinem besten Freund nach Frankreich an die Front gefahren», erklärte er kurz.
«Aber warum wollten Sie denn an einem Krieg teilnehmen?»
«Wir waren jung, wir dachten, das würde ein Abenteuer.»
«Und, wurde es das nicht?», bohrte sie weiter.
Sag es nicht, sag es bloß nicht, dachte er verzweifelt.
«Hm?» Sie ließ nicht locker. Als hätte sie seine Gedanken gehört.
Seth fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er wollte nicht mehr erzählen und bereute plötzlich, dass er nach Gröndal gekommen war, dass er hier mit Beatrice spazieren ging, dass er ihr erlaubt hatte, in Ecken und Winkel seines Innersten vorzustoßen,
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