Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
«Schön, dass Sie gekommen sind, wir freuen uns schon. Im Haus steht alles Kopf, wie immer, Herr Hammerstaals Bruder Christian und ihr Pflegevater, Olav Erlingsen, sind vor kurzem aus Norwegen eingetroffen. Seth holt sie ab, aber der Zug hatte mehrere Stunden Verspätung, und Mutter treibt die Köchin mit ihren ständigen Änderungswünschen in den Wahnsinn.» Milla musste kurz Luft holen. «Da kommen auch schon Mama und Papa.» Sie winkte ihren Eltern zu. «Mein Mann ist nicht hier.» Sie lachte. «Er arbeitet ständig. Und Sie müssen die Gesellschafterin sein», sagte sie, an Miss Mary gewandt.
«Herzlich willkommen!» Iris Stjerneskanz war inzwischen bei ihnen und musterte sie mit derselben unverhohlenen Neugier wie zuvor ihre Tochter. «Sofia, liebes Kind, Sie sind ja wirklich ganz bezaubernd.» Sie begrüßte alle drei. «Wie schön, dass Sie hier sind. Kommen Sie herein, es ist so unglaublich kalt. Dieser Winter hat es wirklich in sich, das muss ich schon sagen.» In diesem Moment wurde das Hundegebell noch etwas lauter.
«Lass die armen Damen doch erst mal zur Ruhe kommen», rief der Mann, der ihr gefolgt war und nun die kläffenden Hunde zurückscheuchte. «Was sollen sie denn von uns denken, wenn wir sie gleich so überfallen?» Der Mann war etwas über fünfzig und recht groß, hatte blaue Augen und ein wettergegerbtes Gesicht. Milla drückte seine Hand und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
«Willkommen, ich bin Ludvig Stjerneskanz», sagte er. «Ich bin der Hausherr.»
Milla wandte sich den Neuankömmlingen zu. «Kommen Sie, dann zeige ich Ihnen Ihre Zimmer, bevor wir uns hier draußen noch zu Tode frieren.»
Beatrice bewunderte das Himmelbett, den blauweißen Kachelofen und die luftigen Stoffe in dem Zimmer, das ihr zugeteilt worden war. Der Kachelofen verbreitete knisternd Wärme, und vom Fenster konnte sie auf schneebedeckte Fichten und unberührte Natur sehen. Wenn sie ganz nah an die Scheibe trat, konnte sie zwischen den Bäumen einen kleinen Zipfel eines zugefrorenen Wasserlaufes erkennen, der in den Mälaren mündete.
Und schließlich gestattete sie sich auch, an das zu denken, was Milla vorhin gesagt hatte.
Seth war hier.
Die ganze letzte Woche hatten Beatrice und Sofia in Vorfreude über das bevorstehende Wochenende spekuliert, doch diese Gespräche hatten sich ausschließlich um Johan gedreht. Jedes Mal, wenn Sofia versucht hatte, sich dem Thema Seth Hammerstaal zu nähern, war Beatrice ausgewichen. Nachts wach zu liegen und einsam vor sich hin zu phantasieren war eine Sache – doch es war etwas ganz anderes, das schmerzhafte Ziehen in der Brust zu beschreiben, welches sie jedes Mal befiel, wenn sie an Seth dachte.
Das Geräusch dumpfen Hufgetrappels riss sie aus ihren Tagträumen, und sie entdeckte zwischen den Bäumen drei Pferde, die sich dem Gut im Galopp näherten. Einer der Reiter blickte zu dem Fenster auf, an dem sie stand, und als sie bemerkte, dass es Seth war, hob sie automatisch die Hand zum Gruß. Er grüßte mit einem Nicken zurück, grub seinem Pferd die Fersen in die Flanken und ritt weiter.
Es klopfte. «Herein», rief Beatrice, während sie den Pferden hinterherblickte.
«Wollen wir rausgehen?», fragte Sofia durch die halbgeöffnete Tür.
Auf dem Vorplatz tobten die Hunde des Gutshofes im Schnee. Die drei Reiter waren in Begleitung bellender Jagdhunde, und ihre Pferde stampften in all dem Tumult nervös mit den Hufen.
Der prachtvolle Hengst, auf dem Seth Hammerstaal saß, scheute erst vor den Hunden, schnappte dann aber nach ihnen und bockte unwillig unter seinem Reiter. Doch mit fester Zügelhand brachte Seth den Hengst langsam zur Ruhe. Selbst jemand, der nichts von Pferden verstand, hätte sofort erkannt, dass dieser Mann ein geschickter Reiter war.
«Fräulein Beatrice. Wie ich sehe, haben Sie keine Angst vor Pferden», stellte Seth fest, als er aus dem Sattel glitt. Sein Haar war nach dem Ritt zerzaust, er trug robuste Reitkleidung und blanke Stiefel, und wie er so dastand, die Reithandschuhe in einer Hand, strahlte er eine derart rohe Männlichkeit aus, dass Beatrice ganz weiche Knie bekam.
«Nein», antwortete sie. «Aber ich habe Sympathien für alle Wesen, die ihren eigenen Willen auszudrücken versuchen. Es ist nicht leicht, sich der Zügelführung eines anderen zu beugen.»
Seth lächelte und hielt ihren Blick fest.
Die Erinnerung, wie sie sich in dem kleinen Raum auf dem Schloss geküsst hatten, kam ihr sofort in den Sinn, und Beatrice
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