Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
Gedanken zu fassen. Eigentlich hatte er sich ja tadellos benommen, dachte sie. Mit ihren Anschuldigungen hatte sie nur verraten, dass sie glaubte, er hofierte andere Frauen, und dass sie das ganz gewaltig störte.
«Ich bitte um Entschuldigung», murmelte sie mit klopfendem Herzen. «Ich habe ohne nachzudenken geredet.» Sie hoffte, dass er sie jetzt vielleicht gehen lassen würde, nachdem das Missverständnis ausgeräumt war. Sie hoffte, dass … Seth lächelte, und sein Lächeln ließ sie erbeben. «Das war schon viel besser», sagte er langsam und wickelte sich eine ihrer Haarsträhnen um den Finger. «So ein bescheidenes Auftreten steht Ihnen gut.» Beatrice funkelte ihn wütend an, und Seth verzog den Mund. «Es macht einfach solchen Spaß, Sie zu provozieren, ich kann es nicht lassen», gab er zu. «Vielleicht sollte ich auch noch etwas von meinem überlegenen Intellekt erzählen und dass der Mann immer über der Frau steht.»
Beatrice verdrehte die Augen, und Seth lachte laut.
Gleich würde sie gehen, redete sie sich ein, doch jetzt wurden seine Gesichtszüge auf einmal ganz weich, und bei dem Blick, mit dem er sie betrachtete, ging es ihr durch und durch. Seth stützte jetzt auch seine zweite Hand neben ihrem Kopf an die Wand, und Beatrice, die nun zwischen ihm und der Wand gefangen war, schnappte nach Luft. Dann beugte er sich vor, und jede Gereiztheit war aus seinem Blick verschwunden. Ihre Brust hob und senkte sich heftig, und sie wusste, jetzt würde er sie küssen. Ein schmerzliches Ziehen bis in die Zehenspitzen durchfuhr sie, und sie schloss die Augen und ließ sich mitreißen.
Zum zweiten Mal durfte Seth erleben, wie sich ein spontaner Kuss von Beatrice Löwenström innerhalb kürzester Zeit von einem amüsanten Spiel zu einem gewaltigen, unkontrollierten Feuer auswuchs. Sie antwortete auf seinen Kuss mit derselben hungrigen, unerfahrenen Leidenschaft wie auf dem Eis des Nybroviken, und Seth erging es auch prompt wieder wie an jenem Tag – er verlor die Kontrolle. Sie fühlte sich so richtig an, sie schmeckte so verführerisch zart und warm. Sein Körper pochte und spannte sich an. Was ihn aber auch daran erinnerte, weshalb er damals, vor ein paar Wochen, sich selbst hatte bremsen müssen. Er zwang sich, sich von dem weichen Mund, der ihn so bereitwillig küsste, loszureißen, während sein Körper protestierte und etwas ganz anderes wollte.
«Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen», sagte er schroff.
«Ja, das ist sicher besser.» Ihre Stimme war dünn und atemlos.
«Ich meine jetzt sofort, Beatrice.»
Sie tat, was er verlangte, und glitt an ihm vorbei zur Tür. Seth sah ihr nach, verfolgte den zarten Rücken und den hellen Nacken mit den Blicken und sah, wie sich die Tür mit einem leisen Klicken hinter ihr schloss.
Er holte tief Luft. Einmal. Zweimal.
Als der Ball gegen ein Uhr vorüber war, waren Johan und Seth bereits im Café Kung Karl auf dem Brunkebergstorg, wo sie ein letztes Gläschen tranken und noch eine Zigarre genossen. Sie saßen auf ihren bequemen Sesseln und streckten die Beine aus. Das Restaurant war noch immer gut besucht, und im großen Gastraum hatten die Leute angefangen zu singen. Betrunken lächelte Johan seinen Freund an.
«Was hältst du eigentlich von Fräulein Löwenström?», fragte er.
«Ich nehme an, die Rede ist von Fräulein Sofia», antwortete Seth und schlug die Beine übereinander. «Sie ist unglaublich schön.»
«Die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe», schwärmte Johan verliebt. «Ich werde Mama bitten, sie nächstes Wochenende zu einer Landpartie einzuladen. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel.»
«Selbstverständlich nicht», beteuerte Seth. Gedankenverloren drehte er sein Glas in der Hand und betrachtete das Getränk. Er fragte sich, was eigentlich mit ihm los war. Dass eine Frau sich so in seine Gedanken drängte, war ihm noch nie passiert. Ratlos schüttelte er den Kopf. Als er mit angesehen hatte, wie Graf Rosenschöld Beatrice auf der Tanzfläche angefasst hatte, war es ganz schwarz in ihm geworden. Und als sie mit anderen Männern getanzt hatte, wäre er am liebsten hingegangen, um sie aus deren Armen zu reißen. Das war ganz schön albern. Rasch leerte er sein Glas.
Es wurde langsam Zeit, nach Hause zu gehen.
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6
Im Haus der Familie Löwenström, Stockholm
«Ich verstehe nicht, warum sie sie auch nach Gröndal eingeladen haben. Es gibt überhaupt keinen Grund, weshalb sie so oft ausgehen sollte.
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