Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
gründen. Nicht immer in der Schuld anderer Menschen zu stehen. Sie schloss die Augen, und eine Welle der Sehnsucht durchflutete sie. Sie wollte Seth. Diese Sehnsucht tat so weh, dass es ihr fast den Atem nahm, und sie wusste, dass sie ihre Zeit nicht damit verschwenden sollte, zu träumen und zu phantasieren. Dennoch tat sie es. Miss Mary warf ihr einen Blick zu, und Beatrice merkte, dass sie wohl laut geseufzt haben musste. Sie schlug die Augen nieder und unternahm einen erneuten Versuch, sich auf die südamerikanischen Urwälder zu konzentrieren.
Da ging die Tür auf, und ein Dienstmädchen trat ein. «Sie haben Besuch. Gräfin von Wöhler mit ihren Töchtern», verkündete sie.
Harriet richtete sich auf, und Beatrice und Sofia erhoben sich, um zu knicksen, als die drei deutschen Damen hereingeführt wurden. «Hol doch noch etwas Tee», befahl Harriet dem Dienstmädchen, das ebenfalls knickste und verschwand.
Nach der Begrüßung verteilten sich die deutsche Gräfin und ihre zwei Töchter auf die seidenbezogenen Sessel. Leonite trug einen Gesichtsausdruck zur Schau, der verriet, dass sie es gar nicht schätzte, Besuche in einfachen Bürgershäusern zu machen. Verächtlich musterte sie die Teller, Gemälde und Spiegel an den roten Brokattapeten. Ganz steif und gerade saß sie auf ihrem Stuhl, als wollte sie so wenig wie möglich mit den Möbeln in diesem Zimmer in Berührung kommen. Ihre kleine Schwester Emelie, ein Mädchen um die vierzehn, sah sich jedoch interessiert um, während die Mütter Höflichkeiten austauschten.
Inzwischen war das Dienstmädchen zurück und stellte ein Tablett mit Tee auf den Sofatisch, zwischen Porzellanfiguren und das Blumenarrangement, und Sofia schenkte ein. Leonite nahm auch eine Tasse, rührte den Tee jedoch nicht an. Die älteren Frauen vertieften sich in eine Diskussion darüber, wo man am besten Bänder und Spitzen einkaufen konnte. Sofia unterhielt sich freundlich mit Emelie, während Leonite stumm lauschte.
Beatrice warf einen sehnsüchtigen Blick auf Jouet, dessen Schicksal sicherlich interessanter war als das Gespräch, das hier geführt wurde.
Harriet und die deutsche Gräfin hatten sich auf dem königlichen Ball kennengelernt. Onkel Wilhelm und Graf von Wöhler saßen gemeinsam in irgendeiner Handelskammer, und Beatrice nahm an, dass die Gräfin sich einzig und allein aus diesem Grunde dazu herabließ, Umgang mit Harriet zu pflegen. Sie betrachtete die beiden Frauen. Sie schienen sich ja gut zu verstehen, und sie wollte Harriet eine Freundin nicht missgönnen.
«… und dann hat er ihr noch diese vulgären Sterne geschenkt, die sie auch auf dem königlichen Ball getragen hat.»
Beatrice horchte auf.
«Sie ist nun wirklich keine achtbare Frau», meinte Harriet verächtlich.
«Charlotta Wallin? Nein, wahrhaftig nicht.» Die Gräfin senkte die Stimme. «Er war gestern bei Zackelius, wie mein Mann gehört hat. Hat Saphire für eine unvorstellbare Summe gekauft. Der hat so viele Frauen, die er bei Laune halten muss. Er ist ja bekannt für seine skandalösen Affären.»
Sie sprachen über Seth, da war sich Beatrice ganz sicher.
«Besonders diskret ist er auch nicht gerade», fuhr die Gräfin mit einem Blick auf ihre älteste Tochter fort. «Ich habe mich in ihm getäuscht. Und Sie ahnen ja nicht, was ich heute gehört habe.»
Harriet beugte sich vor. «Erzählen Sie.»
Die älteren Frauen senkten die Stimmen, und obwohl Beatrice angestrengt lauschte, konnte sie das Geflüster nicht verstehen. Ihre Augen brannten. Zackelius war einer der exklusivsten Juweliere Stockholms, so viel wusste sie. Und sie hatte auch die Sterne im Haar der vollbusigen Frau gesehen, und der Schmuck war ihr gar nicht vulgär vorgekommen, ganz im Gegenteil. Doch sie hatte nicht gewusst, dass die Trägerin ihn von Seth bekommen hatte … Sie versuchte ihre Verzweiflung niederzukämpfen. Es war noch keine achtundvierzig Stunden her, da hatte sie mit ihm in Iris’ Wintergarten zusammengestanden. Gerade zwei Tage waren vergangen, seit sie ihre Hand auf Seths raue Wange gelegt und er ihre Handfläche geküsst hatte. Bitterkeit stieg in ihr auf. Waren das also seine wichtigen geschäftlichen Angelegenheiten? So verschwenderisch beim Juwelier einzukaufen, dass die feine Gesellschaft sich die Mäuler darüber zerriss? Offenbar gaben sich Seths Geliebte nicht mit leeren Phrasen zufrieden. Bestimmt waren das alles erfahrene Frauen, die sich Substanzielleres zu sichern wussten als schöne Worte, die
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