Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
immer geglaubt und gehofft, er habe langsam, aber sicher doch Zuneigung zu ihr gefasst – wenngleich sie sich über die neuen Kleider durchaus gewundert hatte.
Bisher hatte er immer nur geschnaubt und leise in sich hineingeschimpft, wenn sie aus ihren Kleidern und Schuhen herauswuchs. Und nun besaß sie plötzlich mehrere Ballkleider. Doch das alles war nur geschehen, um sie Interessenten schmackhaft zu machen wie ein Stück Vieh. Ihr wurde schlecht. «Ich … es tut mir leid, das wusste ich nicht.» Eigentlich hätte es sie aber nicht überraschen sollen. Die einzige Art, wie er Nutzen aus ihr ziehen konnte, bestand darin, sie zu verheiraten. Endlich begriff sie, warum ihr Onkel in letzter Zeit so streng zu ihr gewesen war. Er hatte Angst gehabt, der Graf könnte sie nicht mehr haben wollen, wenn sie ganz sie selbst war.
Die Schande würde entsetzlich sein, aber diesen widerwärtigen Mann konnte sie auf keinen Fall heiraten. Auch nicht, wenn Seth andere Frauen mit Juwelen überschüttete. Die Kleider mussten schrecklich teuer gewesen sein, aber sie konnte ja eine Arbeit finden und sie abbezahlen. Und sie würde ausziehen, irgendwie würde sich das Ganze schon lösen lassen …
«Wenn du dich weigerst, bekommt er stattdessen eben Sofia.»
Beatrice schlug die Hand vor den Mund. Jetzt packte sie in dieser Unterredung zum ersten Mal die Angst. Konnte er wirklich so grausam sein? Konnte er seine eigene Tochter so bestrafen, nur um seine Macht zu demonstrieren?
«Aber Johan …», wandte sie schwach ein.
Ihr Onkel straffte den Rücken und bedachte sie mit einem finsteren Blick, und Beatrice wusste, sie würde es nicht wagen, ihm zu trotzen, wenn das auf dem Spiel stand. Rosenschöld war einer der einflussreichsten Adligen in Stockholm, ihn zum Schwiegersohn zu haben zählte natürlich wesentlich mehr, als es der junge arbeitende Sohn einer Familie des niederen Adels tat. Rosenschöld konnte ihm viele Türen öffnen, die einem Wilhelm Löwenström bisher verschlossen geblieben waren. Und seinem Sohn Edvard.
«Meine Tochter weiß, was das Beste für die Familie ist», erwiderte Wilhelm.
In Beatrices Ohren dröhnte es, und seine Stimme schien wie aus weiter Ferne zu kommen. Eines stand ohne Zweifel fest: Sofia würde sich niemals ihrem Vater widersetzen. Sein Wort war für sie Gesetz, und sie würde seinen Willen immer über den ihren stellen, egal, was sie fühlte.
Aber in diesem Fall würde sie zugrunde gehen. Sofia war nicht stark, solch eine Ehe würde sie niemals überleben.
Andererseits – was hatte Beatrice selbst schon für Möglichkeiten? Seth Hammerstaal war vollauf mit seinen anderen Frauen beschäftigt, dachte sie bitter. Warum sollte sie sich erniedrigen, indem sie sich noch Hoffnung auf ihn machte?
«Ich bin so überwältigt», sagte sie hilflos. «Ich bin sicher, dass Sie recht haben, aber vielleicht könnte ich trotzdem ein paar Tage Bedenkzeit haben. Das überfordert meinen armen Kopf.» Vielleicht würde er sich ja darauf einlassen, und sie konnte ein wenig Zeit herausschinden?
«Da gibt es überhaupt nichts zu bedenken», fauchte er. «Ich will deine Antwort hören, und zwar jetzt sofort, sonst gehe ich nach nebenan und löse Sofias Verlobung mit Johan Stjerneskanz.»
Beatrice begriff, dass sie geschlagen war. Sie verließ das Arbeitszimmer, öffnete die Tür zum Salon und blieb mit klopfendem Herzen auf der Schwelle stehen. Nun war der Raum voll lachender, plaudernder Menschen. Die Gräfin von Wöhler und ihre Töchter. Johan, Sofia, Miss Mary. Ein paar Bekannte von Harriet und ein paar Nachbarn.
Und Seth.
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10
Von allen verlogenen Frauen, die er in seinem Leben getroffen hatte – und es waren überraschend viele gewesen –, war Beatrice Löwenström wohl die schlimmste, dachte Seth. Er sah sie an, während sie auf der Schwelle stand und sich nervös die Hände knetete. Offenbar hatte die hinterlistige Frau nicht erwartet, dass er hier auftauchte. Kühl ließ er den Blick über sie hinweggehen.
Nach seiner gestrigen katastrophalen Unterredung mit Wilhelm Löwenström war Seth nach Hause gegangen und hatte gegrübelt. Er hatte eine schlaflose Nacht lang an Beatrice gedacht, und irgendwann hatte sich die erste gewaltige Wut gelegt. In den späten Nachtstunden begann er sich schließlich zu fragen, ob es sich vielleicht um ein dummes Missverständnis handelte. Und gegen Morgengrauen wusste er, was er tun wollte. Er würde mit Beatrice selbst sprechen. Nach
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