Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
weiter nichts zu bedeuten hatten.
Vor der Tür hörte man tiefe Männerstimmen, und Beatrice warf einen Blick zu Sofia. Ihre Cousine blinzelte nervös, denn sie hatte schon darunter gelitten, dass sie so lange nichts mehr von Johan gehört hatte. Dann wurde es ganz still – offenbar war der Besucher in Wilhelms Arbeitszimmer gegangen. Sofia senkte den Blick.
Plötzlich wurde draußen eine Tür geöffnet, und aufgeregte Stimmen näherten sich. Dann flog die Salontür auf. Wilhelm Löwenström trat mit zufriedenem Gesicht ein, gefolgt von Johan Stjerneskanz, der von einem Ohr zum anderen grinste. Beatrice hörte Sofias erleichterten Seufzer.
Sie reckte sich ein wenig, um zu sehen, ob dahinter noch jemand kam, sie sah auch kurz eine Bewegung, doch es war nur ein Dienstmädchen. Johan war allein gekommen.
Die Enttäuschung schnürte ihr die Kehle zu, und ihr wurde klar, dass sie wider alle Vernunft gehofft hatte, auch Seth würde kommen. Während ihr die Tränen in die Augen stiegen, musste sie sich zwingen, ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Geschehnisse im Salon zu lenken, Sofias Freude zu teilen, sich Harriets Geschnatter anzuhören und Wilhelms polterndes Gelächter. Johan strahlte Sofia an, streckte ihr die Hand hin, und Beatrice konnte nur eines denken: Komm, bitte, komm.
«Ausgezeichnet!», rief Wilhelm und sah sich im Salon um. Er nickte der Gräfin und ihren Töchtern zu. «Dann haben wir also gleich zwei Hochzeiten in der Familie.»
Alle Augen waren auf Wilhelm gerichtet, und es wurde ganz still. Miss Mary runzelte die Stirn und warf Beatrice einen fragenden Blick zu. Der Onkel jedoch sah Beatrice an, und ihr Herz begann so heftig zu hämmern, dass ihr fast schlecht wurde.
«Komm mit, ich muss mit dir sprechen», befahl er.
Sie wagte ihm nicht in die Augen zu sehen, als sie ihm in sein Arbeitszimmer folgte.
«Bitte, liebe Beatrice, setz dich doch», forderte Onkel Wilhelm sie auf.
Sie konnte sich nicht entsinnen, ihn jemals so gut gelaunt erlebt zu haben. Langsam setzte sie sich ihm gegenüber auf einen Stuhl. Sie legte die Hände in den Schoß, ließ die Schultern sinken und hielt den Atem an.
«Als du vor vier Jahren zu mir gekommen bist, habe ich mir geschworen, mich nach bestem Wissen und Gewissen um dich zu kümmern. Und das habe ich getan, als wärst du meine eigene Tochter.»
Sie antwortete nicht, denn nun war es ja sowieso egal. Er hatte sie gezüchtigt, er hatte ihr ihre Bücher weggenommen und sie gezwungen, sich ihm unterzuordnen. Das war jetzt vorbei. Sie würde ihm alles Mögliche verzeihen.
«Eine meiner wichtigsten Aufgaben bestand natürlich darin, einen passenden Ehemann für dich zu finden, was nicht ganz leicht gewesen ist. Heute habe ich die große Freude, dir mitzuteilen, dass ein Mann bei mir um deine Hand angehalten hat und ich seinen Antrag bereits in deinem Namen angenommen habe.»
Beatrice hob den Kopf. Seth, ich werde Seth doch bekommen, dachte sie und flüsterte: «Danke.»
«Wunderbar. Der Graf kommt nächste Woche vorbei, dann könnt ihr euch über alles Weitere unterhalten.»
«Der Graf?»
«Graf Rosenschöld», sagte Wilhelm gereizt. «Dummes Ding, hörst du denn gar nicht zu. Ich habe seinen Antrag angenommen.»
Beatrice sprang so hastig auf, dass ihr Stuhl umfiel. «Aber ich kann ihn nicht heiraten!»
«Er ist eine hervorragende Partie.»
«Aber …»
«Aber was? Es ist ja nun nicht gerade so, dass sich die Verehrer um dich reißen würden, nicht wahr?»
Gedemütigt sah Beatrice ihn an. Unter ihren Lidern brannte der Zorn. «Es tut mir leid. Ich weiß, dass Sie nur mein Bestes wollen, Onkel, aber ich kann ihn nicht heiraten.»
In Wilhelms Augen trat ein tückisches Funkeln. «Wie kannst du es wagen, dich mir zu widersetzen? Weißt du, was es kostet, dich zu nähren und zu kleiden? Ich dachte, dich würde niemals jemand haben wollen. Diese Gelegenheit ist fast schon zu schön, um wahr zu sein.» Der Onkel stützte die Knöchel auf den Schreibtisch und stemmte sich hoch. Er bebte vor Zorn. «Was meinst du, warum ich in den letzten Monaten ein Vermögen für deine Kleider ausgegeben habe?», brüllte er. «Für die Opernkarten? Was meinst du, warum du auf den königlichen Ball mitgehen durftest? Das war eine Investition. Der Graf will dich, das Ganze ist beschlossene Sache. Du wirst mein Haus verlassen.»
Beatrice schnappte nach Luft. Diese Tirade war schlimmer als eine Tracht Prügel. Niemals hatte sie geahnt, dass sie ihm so zuwider war, sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher