Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
Wochen.
«Ich freue mich schon, so lange auf dem Land sein zu dürfen», sagte Beatrice, als sie aus dem Wagen stieg und die frische Luft einatmete.
Eine Woche später wäre sie bereit gewesen, einen Mord zu begehen.
Das Ganze erinnert stark an eine Schlacht, dachte Beatrice. Und Iris Stjerneskanz ist wie der kompromisslose General an der Truppenspitze. Tag für Tag schickte Sofias zukünftige Schwiegermutter ihre Bediensteten aus, um überall Schlafplätze für Hunderte von Gästen herzurichten. Die Knechte und Mägde schlachteten, buken, kochten und butterten von morgens bis abends. Wenn man nach der Menge an Speisen und Getränken gehen wollte, die da vorbereitet wurden, würde im nächsten Jahr in Svaneberg und Umgebung kein Mensch hungern müssen. Mit jedem Tag stieg der Geräuschpegel weiter, und Sofia war bald so nervös, dass man überhaupt kein vernünftiges Wort mehr aus ihr herausbekommen konnte.
Eine Lichtung an einem See, einen halbstündigen Ritt vom Herrenhof entfernt, wurde Beatrices Zuflucht in all dem Chaos. Manchmal zog sie sich mit einem Buch dorthin zurück, doch genauso oft setzte sie sich bloß ins Gras und hing ihren Gedanken nach. Sie war dankbar für den Frieden, den der Wald ihr bot.
Am Tag vor der Trauung ging sie schon frühmorgens aus dem Haus – bevor Iris sie erspähen und fragen konnte, ob sie etwa nichts zu tun habe, denn dann könne sie doch ein Huhn rupfen oder eine ähnlich widerliche Tätigkeit übernehmen. Sie wollte gern noch ein bisschen für sich sein. Obwohl es schon Ende Mai war, war die Morgenluft immer noch kühl, und sie hatte sich einen groben Mantel umgehängt.
Die kleine weiße Stute, auf der sie ritt, schlug den Weg zur Waldlichtung ein, und wenig später waren sie an dem kleinen See angekommen. Ihr Pferd blieb stehen und trank ein wenig Wasser. Es wartete darauf, dass seine Reiterin abstieg, doch Beatrice war völlig in Gedanken versunken und blieb sitzen.
Mon Dieu. Jacques Denville traute seinen Augen kaum. Die Sonne schien durch die Bäume auf die Waldlichtung, und die Sonnenstrahlen fielen auf eine Frau, deren Mantel sich wie ein Fächer über den weißen Pferderücken breitete. Das Gesicht der Frau war ihm abgewandt, und er fragte sich kurz, ob sie tatsächlich aus Fleisch und Blut war. Als sein Hengst ihrer Stute eine Begrüßung zuschnaubte, drehte die Frau sich um.
Jacques lächelte, als er ihr Gesicht sah. Exotische, schrägstehende Augen. Hohe Wangenknochen und ein sinnlicher Mund. Nicht schön im traditionellen Sinne, aber spannend und anders. Und ihr Haar – welch eine Farbe! Weder kastanienrot noch rotblond, sondern flammend feuerrot.
Durch den Mantel konnte man ihren Körper nur schwer einschätzen, doch Jacques hatte den Großteil seines Erwachsenenlebens mit dem Verführen von Frauen verbracht, und er war ziemlich sicher, eine wohlgeformte Figur unter dem groben Stoff auszumachen. Er verzog den Mund. Definitiv aus Fleisch und Blut.
Beatrice hatte sich mit Müh und Not von der Überraschung erholt, dass plötzlich ein Mann aufgetaucht war und sie so ungeniert anstarrte, da verschlug es ihr vollends den Atem. Denn ohne Vorwarnung ritt auf einmal Seth auf die Lichtung, auf ihre Lichtung.
Wie immer sah er zu Pferd umwerfend elegant aus. Dann ist er zu guter Letzt also doch gekommen, dachte sie. Und zwar in Begleitung eines Freundes, der wohl der schönste Mann war, den Beatrice je gesehen hatte. Aber nur der Anblick von Seth, ihrem ernsten Seth, verursachte ihr Herzklopfen. Sie nickte zum Gruß und fasste die Zügel ihrer Stute fester.
Der Schwarzhaarige ritt auf sie zu, doch Seth blieb, wo er war, und beobachtete die beiden von seinem Pferd aus.
Der Mann ergriff ihre Hand. Ein Blick seiner heißen bernsteinfarbenen Augen bohrte sich in ihre. «Mademoiselle, enchanté.»
Sie lächelte, als ihr dämmerte, wer er war. «Sie müssen Monsieur Denville sein», erwiderte sie in fehlerfreiem Französisch.
Der Franzose führte ihre Hand an seine Lippen und drückte auf jeden ihrer Finger einen enthusiastischen Kuss. «Zu Ihren Diensten», murmelte er. «Quälen Sie mich nicht weiter, verraten Sie mir Ihren Namen.»
«Beatrice Löwenström», sagte sie und zog die Hand zurück. Dieser Mann mit den lachenden Augen und dem arroganten Zug um den Mund konnte einer Frau bestimmt im Handumdrehen den Kopf verdrehen.
Seth fiel auf, dass Beatrice sich mit ihrem Mädchennamen vorgestellt hatte. Sie war also noch nicht verheiratet. Er ritt heran und
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