Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
Hammerstaal liebt mich nicht, Sofia. Im Gegenteil, er findet mich langweilig, das hat er mir sogar ausdrücklich so gesagt.»
Und das war noch untertrieben, dachte sie, und spürte einen Stich in der Brust. Seth hielt sie für eine Schlampe und Goldgräberin.
«Wenn du sicher bist …»
«Ich bin ganz sicher», erklärte Beatrice entschieden. Sie versuchte zu lächeln, doch nach Sofias skeptischem Gesichtsausdruck zu urteilen, gelang ihr das nicht besonders gut.
Beatrice hatte ihren zukünftigen Mann in den letzten Monaten ein paarmal gesehen. Sie hasste es, wenn ihr Onkel sie zwang, sich mit dem Grafen zu treffen. Und der besitzergreifende Blick, mit dem er sie musterte, als sie wenig später den Salon betrat, ließ sie erschaudern. Sie hatte noch nie jemand gesehen, der so aufdringlich und so penetrant war, dabei aber gleichzeitig so uninteressiert an ihrer Person.
«Schön wie immer, Fräulein Beatrice», sagte er und beugte sich über ihre Hand. Wilhelm warf ihr einen ermunternden Blick zu, und widerwillig setzte sie sich auf den Stuhl neben Rosenschöld.
«Es ist leider etwas dazwischengekommen, daher müssen wir die Trauung bis nach dem Sommer verschieben», erklärte der Graf. «Ich hoffe, Sie sind nicht allzu enttäuscht.»
Sie rührte schweigend in ihrer Teetasse, konnte ihre Erleichterung aber kaum verbergen. «Ich muss über den Sommer nach Schonen fahren», fuhr er fort. «Deshalb schlage ich vor, wir legen stattdessen einen Tag Ende September fest.»
Zehn Minuten später entschuldigte sich Beatrice leise und verließ das Zimmer. Ihre Meinung interessierte hier ohnehin keinen.
Die Wohnung der Familie Stjerneskanz lag in der Herkulesgatan im Klara-Viertel, nicht weit von Wilhelms Haus in der Drottninggatan. Dorthin eilte Beatrice jetzt, mit einem Quäntchen Hoffnung im Herzen. Vielleicht war ihre grausige Zukunft ja gerade etwas weniger grausig geworden? Die Hochzeit war verschoben. Wenn sie Glück hatte, würde vielleicht noch einmal etwas dazwischenkommen.
«Willkommen, Fräulein Beatrice, ich sage gleich Bescheid, dass Sie hier sind.» Der alte Hausdiener ließ sie durch die schwere Eichentür eintreten und nahm ihr Handschuhe, Hut und Mantel ab.
«Danke, Charles, das ist nicht nötig.»
Rasch durchquerte sie die Halle mit dem schwarz-weiß gefliesten Marmorboden und ging die geschwungene Mahagonitreppe hinauf. Überall an den Wänden hingen Familienporträts in goldenen Rahmen. Oben angekommen, klopfte sie an und trat ein.
«Bea!», rief Sofia ihr entgegen, und Beatrices Stimmung stieg, als sie das Chaos aus Stoffen, Bändern und Mustern sah, das jede Fläche im Zimmer bedeckte. Die Seidenballen für das Hochzeitskleid in allen möglichen Farbnuancen, vom weißesten Schneeweiß bis zum blassesten Puderrosa, stapelten sich überall. Dazwischen lagen Bänder und Spitzen, garniert mit zahllosen Schächtelchen und Tütchen mit Perlen, Knöpfen, Blüten und Steinen in allen möglichen Farben und Formen.
Milla und Gabriella waren bereits erschöpft auf ihren Stühlen zusammengesunken. Die zukünftige Braut stand mit mehreren verschiedenen Stoffen mitten im Zimmer, und vor ihr kniete eine verschwitzte Schneiderin aus Augusta Lundins Atelier.
Beatrice suchte sich einen Weg zwischen den gestapelten Modemagazinen hindurch. «Wie geht’s?», fragte sie.
«Ich muss mich heute entscheiden, sonst bringt mich die Schneiderin um, glaube ich. Aber die sind alle so wunderschön – welchen soll ich nehmen?», sprudelte Sofia los. Rasch wandte sie sich zu Milla und Gabriella. «Warum sitzt ihr da so faul herum? Wo ist die elfenbeinfarbene Seide schon wieder hingekommen? Ich will sie mir noch mal anschauen.»
Milla, Gabriella und Mary sahen Beatrice an. In ihren Blicken lag ein stummes Flehen.
«Wie wär’s mit ein bisschen Limonade?», schlug Beatrice vor.
Milla klingelte prompt nach dem Dienstmädchen.
«Welches sind denn ihre Lieblingsstoffe bis jetzt?» Bea musste sich das Lachen verbeißen. Ihre stille, schüchterne Cousine hatte sich in eine hysterische Hexe verwandelt, und wenn sie sich nicht täuschte, hatte Johan zwei Schwestern, die seine Brautwahl inzwischen infrage stellten.
Beatrice musterte die drei Stoffballen, die die Schneiderin ihr hinlegte. Sie waren so gut wie identisch, und wenn Sofia nicht in hohem Bogen aus dem Haus fliegen sollte, wurde es höchste Zeit, dass jetzt jemand anders das Kommando übernahm. «Diesen hier.» Sie zeigte auf einen Stoff. «Weiße belgische Seide,
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