Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
Viertelstunde in verschiedensten Variationen, und Edvard ging allmählich die Geduld aus. Er hatte den Grafen aufgesucht, um Hilfe und Rat zu suchen. Nicht, um sich wie einen kleinen Jungen behandeln zu lassen.
«Du hast dasselbe doch auch schon hundertmal gemacht», verteidigte er sich gereizt und zündete sich noch eine Zigarette an. «Ich verstehe nicht, warum du dich so aufregst.»
Rosenschöld blieb vor ihm stehen. Er hob die Hände, doch Edvard zuckte nicht zurück. Er war an schlimmere Tiraden gewöhnt. Als Kind war er schüchtern gewesen und leicht zu erschrecken, weshalb sein Vater beschloss, ihn mit Züchtigungen abzuhärten. Folglich hatte Wilhelm seinen Sohn ständig geschlagen – wenn er Angst hatte, wenn er weinte, wenn er nicht gehorchte und so weiter. Und so weiter.
Edvard schloss für einen Moment die Augen. Eines Tages hatte er zurückgeschlagen. Es war so schnell gegangen, und er wusste nur noch, dass es draußen kalt und dunkel gewesen war und im Kamin ein Feuer gebrannt hatte. Weswegen er die Schläge bekommen hatte, wusste er nicht mehr. Er hatte sich aus dem Griff seines Vaters gewunden, war gestürzt und hatte dann tastend den Schürhaken zu fassen bekommen. Er spürte das schwere Eisen in der Hand, und irgendetwas in ihm veränderte sich und begann zu wachsen, als er plötzlich merkte, dass er nicht mehr machtlos war. Er erinnerte sich noch, wie sich seine kleine Hand um das kühle, raue Metall klammerte, wie er aufstand, sich umdrehte und zuschlug. Und er würde nie das Gefühl vergessen, als sein Vater sich duckte und ihn mit verschreckten Augen ansah. Er war sicher gewesen, dass sein Vater ihn hinterher totschlagen würde, doch er konnte sich noch gut entsinnen, wie er damals über ihm stand und sich dachte, dass es die Sache wert wäre. Und sein Vater hatte ihn nie wieder angerührt.
«Ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass wir das nicht mit Mädchen aus unserer eigenen Gesellschaft tun», zischte der Graf und riss Edvard abrupt wieder in die Gegenwart. «Hast du denn gar nichts gelernt?»
Der Alte rannte weiter zeternd im Zimmer auf und ab, doch nun platzte Edvard der Kragen. «Du alter Hurenbock, du bist doch kein Stück besser», schimpfte er. «Du hast Beatrice mit Beschlag belegt, also halt mal schön den Mund.»
«Aber ich ficke sie nicht, bevor sie nicht mir gehört, du Idiot, das ist verdammt noch mal ein Unterschied.» Rosenschöld blieb stehen und funkelte ihn zornig an. «Diesmal kann ich das nicht für dich vertuschen, verstehst du das denn nicht? Leonites Schwester, was zur Hölle hast du dir bloß dabei gedacht! Begreifst du nicht, dass es gewisse Grenzen gibt?» Der Graf schüttelte den Kopf. «Und mit Emelie von Wöhler hast du die Grenze eindeutig überschritten. Die ist doch erst vierzehn, zum Teufel! Ich frage mich ernsthaft, ob du krank bist, Edvard. Gerade im Hinblick auf das, was dir damals passiert ist, hättest du dich doch zusammenreißen müssen.»
Ja, wir sind nicht alle gleich, dachte Edvard bitter. Wenn das einer wusste, dann er.
Als er vor vielen Jahren in die Oberschule kam, hatte er sich danach gesehnt, Umgang mit den adligen Jungen zu pflegen, deren Väter Titel und Herrensitze ihr Eigen nannten und noch nie eine Fabrik von innen gesehen hatten, die Themen wie Geld und Arbeit für vulgär hielten. Und sie hatten ihn in ihren Kreis aufgenommen – den ständig lächelnden, charmanten Fabrikbesitzerssohn –, er hatte ganz gleichberechtigt mit den Söhnen der Elite verkehren dürfen und wusste, das war das Leben, das er führen wollte.
Doch dann hatte dieses Mädchen alles an einem Abend zerstört. Das junge Mädchen war so geschmeichelt von der Aufmerksamkeit, dass sie nur zu gern Geld von Edvard und dem anderen Jungen nahm, damit sie sich mit ihr vergnügen durften. Aber dann begann sie zu jammern und gegen die immer gröbere Behandlung zu protestieren. Da hatte der andere Junge sie festgehalten und Edvard befohlen weiterzumachen. Edvard hatte sie geschlagen, bis sie ohnmächtig wurde, dann hatten sich beide an ihr befriedigt und waren in bester Laune nach Hause gegangen.
Doch der Vorfall kam in die Zeitung und löste eine hitzige Debatte aus. Edvard wurde der Schule verwiesen und musste außerdem die ganze Schuld auf sich nehmen, da der Vater des anderen Jungen ein Graf war und überdies mit dem Rektor befreundet. Von diesem Tag an blieben ihm alle Türen verschlossen, und noch Jahre später musste Edvard am Rand jener Welt leben, der er
Weitere Kostenlose Bücher