Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
sagen. Das lasse ich nicht zu. Und warum ist es überhaupt so dunkel hier drinnen?»
Beatrice stand auf und ging ans Fenster. «Du kannst Dunkelheit nicht leiden.» Sie zog die Vorhänge zurück, wobei sie mit ihren Tränen kämpfte und dem hoffnungslosen Gefühl, das dieses Krankenzimmer ihr einflößte. «Du hast einen herrlichen Ausblick auf das Wasser und den Hafen», sagte sie und hasste sich selbst für den munteren Ton ihrer Stimme. «Segeln die Schiffe nach England von hier ab?»
«Ich weiß nicht, ich habe noch keines gesehen. Ich kann mich ja kaum im Bett aufsetzen, geschweige denn aus dem Fenster schauen.»
Beatrice setzte sich wieder auf die Bettkante. «Kann ich etwas für dich tun? Willst du ein bisschen Wasser haben?»
Sofia schüttelte nur matt den Kopf.
«Erzähl mir von dem Kind», bat Beatrice. «Was meint der Doktor, wann wird es kommen?»
«Im Januar. Aber er glaubt, dass ich es nicht überstehen werde.»
«Hat er das etwa gesagt?», fragte Beatrice scharf. Was dachten sie sich bloß dabei, Sofia mit solchem Gerede zu erschrecken?
«Keiner sagt direkt etwas zu mir. Sie lächeln und lächeln immer bloß, aber ich sehe es in ihren Augen. Und ich höre, was sie sagen, wenn sie glauben, dass ich schlafe. Aber ich rede immer nur von mir – dabei freue ich mich so sehr, dass du gekommen bist.» Sie lächelte schwach. «Ich habe gehört, dass deine Hochzeit wieder verschoben worden ist?»
«Ja», bestätigte Beatrice. Onkel Wilhelm hatte Rosenschöld eine Nachricht zukommen lassen und die Heirat bis auf Weiteres verschoben. Unter den momentanen Umständen wollte anscheinend nicht einmal er die Hochzeit forcieren.
Beatrice hätte sofort geheiratet, noch heute, wenn sie Sofia damit wieder hätte gesund machen können.
Sofia lächelte. «Ich fühle mich schon etwas besser, seitdem du da bist.»
«Wie schön, dann bleibe ich erst mal hier. Und dann, im Januar, wenn du ein gesundes Baby im Arm hast, werden wir über das alles lachen.»
«Ich glaube auch. Du hast ja immer recht.» Sofia lehnte sich in die Kissen und schloss die Augen.
Als Beatrice die Treppen herunterkam, sah Mary ihr besorgt entgegen.
«Sie sieht sehr schlecht aus», beantwortete Beatrice die unausgesprochene Frage.
«Johan und die anderen warten unten», teilte Mary ihr mit.
Gemeinsam gingen sie ins Erdgeschoss und begegneten den resignierten Blicken der anderen.
«Seit wir zurück in Schweden sind, hat sie ständig nach dir gefragt», sagte Johan. «Sie wollte unbedingt nach Stockholm, aber es war unmöglich, sie war schon viel zu schwach. Es wäre lebensgefährlich gewesen, sowohl für sie als auch für das Kind.»
Harriet ließ sich auf einen Stuhl sinken und hielt sich die Hand vor den Mund. Mary trat ans Fenster und blickte hinaus. Keine der beiden Frauen sagte etwas, doch ihre Sorge stand geradezu greifbar im Raum.
«Ich wünschte, ich wäre früher gekommen», sagte Beatrice.
Johan schüttelte den Kopf. «Jetzt können wir nur noch das Beste hoffen.»
«Was sagt der Arzt?»
«Man kann nichts tun, nur abwarten. Sie muss sich ausruhen. Zu etwas anderem ist sie sowieso nicht mehr in der Lage.»
«Du siehst auch müde aus», bemerkte Beatrice sanft.
Johans normalerweise so frohes Gesicht war von Schlafmangel und Angst gezeichnet. Er sah sie mit glänzenden Augen an. «Ich kann nicht schlafen, ich denke mir immer nur, dass wir zu Hause hätten bleiben sollen. Sofia ist so zerbrechlich. Wenn wir nicht auf Hochzeitsreise gegangen wären, dann wäre sie vielleicht …»
«Ach, Johan, ich verstehe, dass du dir Vorwürfe machst. Aber wenn Sofia wüsste, dass du dir die Schuld gibst, würde es ihr das Herz brechen. Hinterher weiß man eben immer alles besser, aber so darf man nicht denken. Sei froh, dass ihr verreist seid und dass ihr das zusammen erleben konntet. Ich bin sicher, ihr hattet viel Spaß.»
Er verzog den Mund. «Du hast recht, wir fanden die Reise beide wundervoll.»
«Und bald habt ihr ein kleines Kind. Das wird ganz großartig», meinte Beatrice.
Er sah sie an, und Beatrice hörte selbst, wie aufgesetzt ihre Worte klangen. «Ja», sagte er und ließ sich auf ihre Scharade ein, denn die Alternative war unerträglich.
*
Beatrice wich rasch aus, um im Gedränge nicht ins Wasser geschubst zu werden. Dann setzte sie ihren Spaziergang durch das Gewühl am Göteborger Hafen fort, wo Akrobaten die herbstlichen Spaziergänger am Kai unterhielten. Sie ging zurück in die Innenstadt, vorbei an den
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