Ein Universum aus Nichts - ... und warum da trotzdem etwas ist
Abstände zwischen ihnen immer gröÃer.
Die Situation kann sogar noch dramatischer sein. Andrei Linde, zusammen mit Alan Guth einer der entscheidenden Architekten der modernen Inflationstheorie, hat 1986 ein vielleicht noch allgemeineres Szenario vorgetragen und erforscht. In gewissem Sinn war das schon von Alexander Vilenkin, einem weiteren erfinderischen russischen Kosmologen in den USA , vorweggenommen worden. Sowohl Linde als auch Vilenkin verfügen über die innere Zuversicht, die man bei groÃen russischen Physikern antrifft; ihre Geschichte ist jedoch völlig unterschiedlich verlaufen. Linde war im alten sowjetischen Physik-Establishment erfolgreich, ehe er nach dem Fall der Sowjetunion in die USA auswanderte. Frech, brillant und witzig hat er die theoretische Teilchenkosmologie seither in weitem Umfang dominiert. Vilenkin emigrierte schon viel früher, noch ehe er Physiker wurde, und arbeitete während seines Studiums in den USA in verschiedenen Jobs, unter anderem als Nachtwächter. Und obwohl er sich immer für die Kosmologie interessiert hatte, bewarb er sich für seine Promotionsarbeit zufällig an der falschen Uni, worauf er eine Doktorarbeit in der Physik kondensierter Materie â der Material- und Festkörperphysik â verfasste. AnschlieÃend fand er eine Anstellung als forschender Postdoktorand an der Case Western Reserve University, wo ich schlieÃlich Fakultätsvorsitzender wurde. Während dieser Zeit fragte er seinen Supervisor Philip Taylor, ob er zusätzlich zu den ihm zugewiesenen Projekten einige Tage in der Woche an kosmologischen Fragen arbeiten könne. Wie Philip mir später mitteilte, war Alexander selbst mit seinem Teilzeitlabor der produktivste Postdoktorand, den er je gehabt hatte.
Linde erkannte jedenfalls, dass Quantenfluktuationen während der Inflation häufig das Feld antreiben, das die Inflation zu ihrem niedrigsten Energiezustand drängt. Das führt dann zu einem eleganten Ausstieg. Es besteht aber auch ständig die Möglichkeit, dass Quantenfluktuationen in manchen Regionen das Feld zu immer höheren Energien treiben â fort von den Werten, bei denen die Inflation aufhören würde â, wodurch die Inflation unvermindert weitergeht. Weil solche Regionen über längere Zeiträume hinweg expandieren, ist der von Inflation betroffene Raumanteil erheblich gröÃer als der nicht inflationär expandierende Raum. Innerhalb dieser Regionen wiederum werden Quantenfluktuationen weitere Teilzonen zum Ausstieg aus der Inflation veranlassen und deren exponentielle Expansion beenden, doch auch hier gibt es wieder Zonen, wo die Quantenfluktuationen dafür sorgen, dass die Inflation jeweils noch länger anhält. Und so weiter.
Dieses Modell, das Linde »chaotische Inflation« getauft hat, ähnelt in der Tat den vertrauteren chaotischen Systemen auf der Erde. Nehmen wir beispielsweise kochenden Haferbrei. An jedem Ort kann eine Gasblase aus der Oberfläche blubbern, was Bereiche anzeigt, in denen Flüssigkeit hoher Temperatur einen Phasenübergang vollendet und Dampf bildet. Zwischen den Blasen aber brodelt und wallt der Haferbrei. In gröÃerem MaÃstab zeigt sich RegelmäÃigkeit â irgendwo treten stets Blasen aus. Ãrtlich jedoch verhält es sich ganz anders â je nachdem, wo man hinschaut. Das würde sich auch in einem chaotisch inflationär expandierenden Universum zeigen. Befände man sich zufällig in einer »Blase« des wahren Grundzustands, in dem die Inflation aufgehört hat, würde einem das eigene Universum völlig anders vorkommen als der groÃe Raumbereich, der sich nach wie vor inflationär ausdehnt.
In diesem Modell geht die Inflation ewig weiter. Manche Regionen â tatsächlich der gröÃte Teil des Raums â würden auf immer inflationär expandieren. Jene Regionen, die der Inflation entgehen, werden zu kausal abgekoppelten separaten Universen. Ich möchte unterstreichen, dass ein Multiversum unvermeidlich ist, wenn die Inflation ewig weitergeht, und eine ewige Inflation ist bei Weitem die wahrscheinlichste Möglichkeit in den meisten, wenn nicht in allen inflationären Szenarien. In seinem Aufsatz von 1986 hat Linde es so ausgedrückt:
Die alte Frage, warum unser Universum das einzig mögliche ist, wird nun durch die Frage ersetzt, in welchen Theorien die Existenz von Mini-Universen wie dem unseren
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