Ein unmoralischer Handel
heiraten, um dich zu beschützen. Aus irgendwelchen ritterlichen Beweggründen heraus.«
Sie hatte versucht, das Wort zu vermeiden, es klang so melodramatisch, wenngleich es nichts als die reine Wahrheit bezeichnete. Seufzend sah sie ihn an.
»Ich wollte dich dazu bringen, mir zu helfen - ich hatte nie vor, dich zu einer Ehe zu verleiten.«
Gabriel suchte ihre Augen, haselnussfarbene Brunnen absoluter Aufrichtigkeit. Die Verletzlichkeit, die ihn betört hatte, seit er die Identität der Gräfin gelüftet hatte, war verschwunden.
Sie hatte keine Ahnung. Sie hatte keine Ahnung, wie hoch er sie schätzte, dass seine Faszination im Grunde eine überwältigende und allumfassende Besessenheit war. Er hatte vergessen, wie naiv sie war, trotz ihres Alters. Obwohl er sie ihr Leben lang kannte, war sie auf bestimmten Gebieten völlig ahnungslos. Sie wusste nicht, wie deutlich sie sich von all ihren Vorgängerinnen unterschied.
Er schaute erneut zu Mary und Alice hinüber, während er sich im Geiste bemühte, sich auf die neue Situation irgendwie einzustellen. »Auch auf die Gefahr hin, dir deine Illusionen zu rauben, aber das ist nicht der Grund, weshalb ich dich heiraten möchte.«
»Warum dann?«
Er schaute ihr in die Augen. »Es kann dir doch wohl kaum entgangen sein, wie sehr ich dich begehre.«
Leichte Röte breitete sich auf ihren blassen Wangen aus. Sie nickte. »Begierde allein zwingt in unseren Kreisen niemanden in eine Ehe.«
Sie schaute weg, bot ihm ihre allzu aufschlussreiche Kinnlinie zur Betrachtung dar. Stärke und Verletzlichkeit - sie vereinte beides in sich.
Seine Reaktion auf diesen Anblick war unmittelbar, doch nicht mehr überraschend - er wusste jetzt, wie elementar und primitiv seine Gefühle für sie waren. Letzte Nacht, als sie nervös an ihren Haaren herumgezupft hatte, um sie wieder in eine Form zu bringen, die als Frisur durchgehen konnte, hatte ihn das dringende Verlangen überkommen, alles wieder durcheinander zu wühlen und mit ihr so durch das ganze Haus zu marschieren - vorbei an der Gästeschar von Lady Richmond, insbesondere an Chillingworth -, damit alle wüssten, dass sie sein war.
Sein.
Das machtvolle Aufwallen seiner Besitzgier fühlte sich schmerzlich vertraut an. Es war ein Gefühl, das sie schon immer in ihm hervorgerufen hatte, der Ursprung jener elenden Spannung, die ihn jedes Mal ergriffen hatte, wenn sie in seiner Nähe war. Indem er die Gräfin entlarvt hatte, waren noch andere Schleier gefallen. Er konnte jetzt sehen, was sich wirklich hinter seinem primitiven Impuls verbarg - das instinktive Verlangen des Männchens, sich seines Weibchens zu bemächtigen. To Have and To Hold - Besitzen und Bewahren lautete das Motto der Familie Cynster; kein Wunder, dass er den Impuls so durchdringend empfand.
Doch wie viel davon konnte er ihr enthüllen, ohne allzu viel zu riskieren? »Wie lange kennen wir einander schon?«
»Schon immer - unser ganzes Leben.«
»Vor Wochen hast du Chillingworth gesagt, unsere Beziehung sei für uns entschieden worden. Ich habe zugestimmt, weißt du das noch?«
»Ja.«
»Die früheste Erinnerung, die ich an dich habe, stammt aus der Zeit, als du zwei Jahre alt warst; ich muss damals etwa drei gewesen sein. Von Anfang an haben unsere Eltern uns erzählt, wir wären Freunde. Ich war zwölf, als es mir schwer fiel, dich wie eine Schwester zu behandeln. Ich habe nie begriffen warum - alles, was ich wusste, war, dass irgendetwas nicht stimmte. Und du wusstest es auch.«
Ihr »Ja« war kaum ein Flüstern; beide hingen sie ihren Erinnerungen nach.
»Erinnerst du dich, wie wir mal schleunigst aus der Scheune des alten Collinridge durch das rückwärtige Fenster hinausschlüpften und dein Kleid sich an einem Nagel verfing? Lucifer war schon unten und hielt die Pferde - ich musste dich an den Hüften packen und hochheben, damit du den Stoff lösen konntest.«
Er machte eine Pause, eine Sekunde darauf erschauderte sie.
»Ganz genau. Die ganze Zeit war es eine ganz besondere Mischung aus Himmel und Hölle. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum ich mich immer so zu dir hingezogen gefühlt habe, immer in deiner Nähe sein wollte; denn sobald ich in deiner Nähe war, wurde ich … aggressiv. Verrückt. Als wollte ich dich packen und durchschütteln.«
Ihr Lachen klang etwas unsicher. »Ich war mir nie sicher, ob du es nicht eines Tages auch tun würdest.«
»Ich habe es nie gewagt. Ich hatte zu viel Angst, Hand an dich zu legen - dich irgendwie zu
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