Ein unmoralischer Handel
sollte -, davon hatte sie nicht die leiseste Ahnung. Mit jedem Tag, der verstrich, wuchs der Druck nachzugeben, sich zu ergeben und seine Frau zu werden.
Ihr einziges Bollwerk dagegen war schlicht, aber solide: Angst. Eine unüberwindliche, unstillbare Angst vor einem so tiefen, allumfassenden Schmerz, dass sie ihn niemals würde überleben können. Ein Schmerz, den sie eher fühlte, als ihn bewusst zu kennen, den sie sich ausmalen konnte, aber nie empfunden hatte. Die Art von Schmerz, die niemand mit gesundem Menschenverstand herausforderte und der jeder gesunde Mensch aus dem Weg ging.
So viel war ihr jedenfalls klar geworden: Sie hatte zu viel Angst, um jemals in eine Ehe einzuwilligen, wenn alles, was er für sie empfand - abgesehen von vergänglicher Begierde -, freundschaftliche Zuneigung und Pflichtgefühl war.
Als sie so durch die Figuren des Cotillon schwebte, sich drehte und weiterschwebte, ging ihr durch den Kopf, dass dem wohl so war; und das bedeutete, niemals ein Kind von ihm zur Welt zu bringen.
Niemals würde sie eigene Kinder haben.
Doch das war bereits vor elf Jahren entschieden worden. Es lag jetzt in den Händen des Schicksals, ihre Entscheidung rückgängig zu machen.
Vom Rand der Tanzfläche aus beobachtete Gabriel, wie Alathea sich anmutig drehte. Sie dachte über etwas nach, aber nicht über den Cotillon - da war etwas Distanziertes in ihrem Blick, eine verschlossene Ruhe in ihrer Miene, was bedeutete, dass sie mit ihren Gedanken ganz woanders war. Bestimmt dachte sie über ihn nach. Er wollte, dass sie über ihn nachdachte, aber … Er hatte den starken Verdacht, dass ihre Gedanken gegenwärtig nicht die Richtung nahmen, die er sich wünschte. Sein Instinkt stachelte ihn auf, Druck auf sie auszuüben, sie an sich zu reißen, egal wie. Ein anderes Gefühl, ein stärkeres Gefühl, warnte ihn - die Entscheidung lag bei ihr. Und er wusste, wie leicht sie zu beeinflussen war.
Momentan war sein Feldzug ins Stocken geraten, und seine Beute stellte sich ihm als äußerst flüchtig dar. Jedes Mal, wenn er dachte, er hätte sie fest im Griff, entzog sie sich ihm, die haselnussbraunen Augen weit aufgerissen, leicht verwirrt, aber nicht überzeugt.
Nicht im Mindesten überzeugt genug, um ihn zu heiraten.
Diese Tatsache war dafür verantwortlich, dass er sich jedes Mal, wenn sie sich von seiner Seite entfernte, in die Enge getrieben und ganz und gar nicht kultiviert fühlte. Es gab keine passende Wand, an die er sich lehnen und sie bewachen konnte, also trieb er sich am Rand der Tanzfläche herum und war nicht gewillt, sich von irgendeiner der anderen Damen weglocken zu lassen, die versuchten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Erfolgreich mied er all diese aufdringlichen Frauenzimmer, doch Chillingworth konnte er nicht aus dem Weg gehen. Der Graf baute sich direkt vor ihm auf.
Ihre Blicke prallten aufeinander. Im gegenseitigen Einverständnis wandten sich beide der Tanzfläche zu und standen jetzt Schulter an Schulter nebeneinander.
»Ich bin überrascht«, begann Chillingworth in seinem schleppenden Tonfall, »dass Sie dieses Spiel noch nicht leid sind.«
»Welches Spiel sollte das sein?«
»Das Spiel des ritterlichen Beschützers, der den Rest von uns in Schach hält.« Chillingworth sah ihn fragend an. »Ich kann verstehen, dass Sie sich als ein so enger Freund der Familie dazu verpflichtet fühlen, aber meinen Sie nicht, dass Sie ein bisschen zu dick auftragen?«
»Da muss ich mich doch fragen, was Sie das eigentlich angehen könnte?« Sogar als er die Frage stellte, fühlte Gabriel einen eisigen Hauch im Nacken.
»Ich dachte, das wäre offensichtlich, mein Freund.« Chillingworth machte eine unbestimmte Handbewegung zur Tanzfläche, wobei er darauf achtete, nicht direkt auf Alathea zu zeigen. »Sie ist eine attraktive Herausforderung, ganz besonders für jemanden in meiner Lage.«
Jedes Wort verstärkte den kalten Schauder, der durch Gabriels Adern rann. Ein Außenstehender hätte vielleicht denken können, dass Chillingworth im Sinn hatte, Alathea zu verführen, weil er im Moment keine Liebschaft hatte. Doch Gabriel wusste es besser. Der Graf war aus seiner Klasse, stammte aus derselben sozialen Schicht wie die Cynster-Riege; er war in jeder Hinsicht ihr Zeitgenosse. Er unterwarf sich denselben ungeschriebenen Gesetzen, denen Gabriel sein ganzes Leben als Erwachsener gefolgt war. Damen aus gutem Hause und von gutem Charakter waren kein Freiwild.
Alathea war unverwechselbar
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