Ein unmoralisches Angebot
Gewand
verborgen.
Sie
beobachtete, wie er unter den Falten des Überwurfs mit der
Rechten zur Waffe griff. Amy hielt den Atem an. Für wen würde
der Fremde Partei ergreifen?
Ohne
die Waffe zu zücken, äußerte er einige kurze Sätze,
und wie durch ein Wunder wichen ihre Angreifer sofort zurück,
erst langsam, dann immer schneller, schließlich rannten sie,
als wäre eine Heerschar von Verfolgern hinter ihnen her –
Tasche und Blazer jedoch hatten sie mitgenommen.
Amy
bebte am ganzen Körper. Mit beiden Händen hielt sie ihr
zerrissenes Kleid zusammen und sah ihren Retter gebannt an.
Wortlos
beugte er sich vor, hob sie auf die Arme und trug sie fort. Ohne auf
ihren Protest zu achten, ging er weiter durch das Labyrinth von
Straßen und Gassen, bis er in einer versteckten Türnische
stehen blieb.
"Sind
Sie verletzt?" fragte er in einwandfreiem Englisch, und Amy
spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten.
Das
ist die Reaktion auf den Schock, sagte sie sich und kämpfte
gegen das Verlangen, sich an der Schulter des Fremden auszuweinen.
Erst jetzt wurde sie sich bewusst, in welcher Gefahr sie geschwebt
hatte.
"Mir
geht es bestens, Sie können mich ruhig absetzen", log sie
tapfer. "Warum haben Sie mich hierher gebracht? Diese Gegend
wirkt ja noch verlassener als die Straße zum Souk."
"Sie
haben genug Aufmerksamkeit erregt", erwiderte er barsch, ließ
sie jedoch erstaunlich sanft zu Boden gleiten.
"Sie
bluten ja!" rief er plötzlich aus.
Amy
folgte seinem Blick und erkannte, weshalb ihr Bein so schmerzte: Quer
über ihren Knöchel zog sich eine klaffende Wunde.
"Oh!
Ich muss wohl auf eine Scherbe gefallen sein", stellte sie
erstaunt fest.
"Das
kommt davon, wenn man in dieser Gegend ohne Begleitung herumläuft."
Er schüttelte den Kopf über ihre Unvorsichtigkeit und
kniete sich hin, um ihren Knöchel genauer zu untersuchen. "Kein
Wunder, dass Sie sich verletzt haben", meinte er. "Bei
diesen Schuhen musste es ja dazu kommen."
"Stimmt,
doch leider sind es die einzigen, die ich mitgebracht habe. Ich
dachte nicht, in Kazban um mein Leben laufen zu müssen. Au!"
Leise schrie sie auf, als er das Fußgelenk abtastete.
"Sie
sollten dankbar dafür sein, dass Ihnen nichts Schlimmeres
passiert ist, die Wunde braucht wahrscheinlich nicht genäht zu
werden. Wenn Sie das nächste Mal ausreißen, legen Sie
besser mehr Wert auf vernünftiges Schuhwerk."
Überrascht
runzelte Amy die Stirn. "Woher wissen Sie …"
Er
riss ein Stück Stoff von seinem Gewand und bandagierte wortlos
ihren Knöchel – dann blickte er zu ihr auf.
"Oh
nein! Sie sind es!"
Er
stand auf und verbeugte sich übertrieben tief. "Es würde
meiner Eitelkeit schmeicheln, wenn Sie bei dieser Gelegenheit mit
meiner Kleidung einverstanden wären, Miss Kingston."
Amy
konnte ihn nur sprachlos ansehen. Im Anzug sah Prinz Zakour schon gut
aus, aber das traditionelle Gewand seiner Landsleute stand ihm um
vieles besser. Wieso hatte sie ihn nicht gleich erkannt?
"Ich
hätte Sie tatsächlich in einem Turm einsperren sollen",
bemerkte er und blickte sich prüfend um. "Das wäre für
alle Beteiligten besser gewesen. Ist Ihnen eigentlich klar, was für
einen Wirbel Sie verursacht haben, Miss Kingston, und wie viele
Menschen Ihretwegen Unannehmlichkeiten hatten?"
Unwillig
zog er die Brauen zusammen. "Eigentlich hätte ich im Palast
eine wichtige Aufgabe zu erledigen gehabt, stattdessen musste ich
mich mit Männern anlegen, auf deren Wohlwollen ich angewiesen
bin, wenn ich in meinem Land für Frieden und Ordnung sorgen
möchte."
Amy
legte den Kopf zurück. "Ich habe niemanden darum gebeten,
mir zu folgen!"
Er
sagte etwas auf Arabisch, das er nicht zu übersetzen brauchte.
Amy wusste auch so, dass es kein Kompliment war.
"Wären
wir Ihnen nicht gefolgt, Miss Kingston, wären Sie jetzt in der
Gewalt der drei Männer, die ganz offensichtlich sehr
interessiert an Ihnen waren. Nachdem Sie sich abgeseilt hatten,
hatten die Palastwachen Sie nur kurz aus den Augen verloren. Das ist
über zwei Stunden her, und seitdem durchkämmen wir die
Straßen. Überall wurde von einer wunderschönen
abendländischen Frau gesprochen, die Haar wie gesponnene Seide
haben sollte."
Er
lächelte humorlos. "Es gibt Straßen in Kazban, die
eine Europäerin ohne entsprechende Begleitung nicht betreten
sollte. Für die Zukunft möchte ich Ihnen empfehlen,
innerhalb der Palastmauern zu bleiben. Draußen lauern nur
Gefahren auf Sie: Hitze, Staub und die Wüste mit feindlichen
Stämmen
Weitere Kostenlose Bücher