Ein unsittliches Angebot (German Edition)
das Land fruchtbar zu machen, alle, die darauf leben, profitieren zu lassen und zu zeigen, dass wir für mehr als nur Müßiggang geboren sind.«
»Was sind Sie doch für eine eigenartige kleine Frau.« Er hob eine Haarsträhne von ihr auf und rieb sie ernst und nachdenklich zwischen den behandschuhten Fingern. Das Haar machte auf dem Handschuh ein leises Geräusch. »Ich wünschte, Sie würden nie eine Haube tragen«, sagte er.
In jedem Gespräch schnitt er früher oder später solche Themen an. Jetzt, wo sie es gewohnt war, war der Gedanke weit weniger besorgniserregend. »Ich trage Trauer.«
»Ja, ich weiß.« Nicht der leiseste Anflug eines Lächelns, ernst wie ein Erzbischof blickte er drein. »Aber ich wünschte, Sie würden keine tragen. Mir gefällt der Anblick Ihrer Haare.«
»Na ja, vielleicht könnte ich sie abnehmen, bevor Sie kommen.« Ein kleines Zugeständnis. Kein großer Anstandsbruch. »Wenn Sie glauben, es könnte nützlich sein.«
»Das wäre schön.« Seine Stimme war leise, fast nur ein Flüstern.
»Dann werde ich versuchen, in Zukunft daran zu denken.« Ihre eigene Stimme wurde ebenfalls leise.
»Ja bitte«, sagte er, und brachte die Haarsträhne an seine Lippen. » Versuchen Sie es.«
6
»Haben Sie viel mit Mr Mirkwood zu tun?« Mit gespreizten Fingern hielt Martha die Karte an die Klassenzimmerwand.
»So gut wie nie. Sie?« Mr Atkins hatte Nägel im Mund; vermutlich sollte sie ihm jetzt keine Fragen stellen.
»Ein wenig. Er war letzte Woche da, und wir haben uns ein wenig unterhalten.« Der Stuhl unter ihren Füßen wackelte. Je mehr Unwahrheiten man verbreitete, desto schwieriger war es, den Überblick zu behalten. Doch dieser Besuch hatte ja eine weitere Unwahrheit zum Zweck gehabt: die schlichtweg falsche Information, Mr James Russell habe ihr geschrieben und der Schule zugestimmt. Mr Atkins hatte ihr natürlich geglaubt und begonnen, zur Feier des Tages Dinge an die Wände zu hängen.
»Und was für einen Eindruck haben Sie gewonnen?«, fragte er jetzt zwischen den Nägeln hindurch.
Das war eben die Frage. Vor einer Woche hätte sie sie leicht beantworten können. Jetzt zögerte sie. »Ich weiß nicht, ob ich ihn gut genug kenne, um ihn einschätzen zu können. Er scheint ein gutmütiger Mann zu sein, aber man hört ja so einiges über seine Machenschaften in London.«
Die Nägel purzelten in die Hand des Pfarrers. »Ich versuche, nichts auf solchen Klatsch zu geben. Die Menschen neigen dazu, unsere Erwartungen an sie zu erfüllen – im Guten wie im Schlechten. Und er ist noch sehr jung, glaube ich. Er entwickelt sich noch.« Er setzte einen Nagel an und hob den Hammer.
»Auch junge Männer können sich anständig benehmen.« Sie hatte die Stimme erhoben, um sich gegen das Hämmern durchzusetzen. » Sie haben Ihre Jugend nicht vorgeschoben, um ein Lotterleben zu führen.« Sie mussten etwa gleich alt sein, Mr Mirkwood und Mr Atkins.
»Nun, die Kirche macht einen ernsthaft, falls andere Dinge das noch nicht bewirkt haben.« Er kam von seinem Stuhl herunter, und als er sie anschaute, lag ein ganz und gar unernster Ausdruck in seinen Augen. »Was Mr Mirkwood betrifft, so sage ich: Im Zweifel für den Angeklagten. Haben Sie bemerkt, dass er gestern die ganze Predigt hindurch wach geblieben ist?«
»Sie zu verschlafen wäre ja auch schockierend gewesen. Wir können alle aus den Fehlern des törichten Mannes mit seinen neuen Scheunen lernen, meine ich.«
»Ich glaube, nächste Woche werde ich über Sprüche 22,6 predigen: Gewöhne einen Knaben an seinen Weg, so lässt er auch nicht davon, wenn er alt wird. Über diesen Vers habe ich aus naheliegenden Gründen viel nachgedacht. Und ich habe mir John Wesleys Predigt zu diesem Thema noch einmal durchgelesen. Ich kann ihm einfach nicht darin zustimmen, dass Kinder von Natur aus zur Boshaftigkeit neigen. Also muss ich ihn widerlegen.« Er nahm die Nägel wieder in den Mund und stellte den Stuhl auf Marthas andere Seite.
Was war er doch für ein großherziger Mann. Über jeden hatte er etwas Gutes zu sagen. Es würde ihr sehr leidtun, seine gute Meinung zu verlieren, sollte ihr falsches Spiel auffliegen. Sie sah zu, wie er auf den Stuhl stieg, die Nägel ausspuckte und einen weiteren in die Wand schlug. Er hielt den Kopf schief und blickte an seiner langen Nase vorbei auf das Werk seiner Hände. Da sie ihm schon oft bei den unterschiedlichsten Tätigkeiten zugesehen hatte, wusste sie, dass er so eine besonders unbändige
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