Ein unsittliches Angebot (German Edition)
die Hand ins Feuer gelegt – zehn Prozent Freude; die Witwe fuhr indes zu ihm herum und fixierte ihn mit einem sehr ernsten Blick.
»Nein? War es vielleicht Der Italiener ?«
Vierzig Prozent Freude, sechzig Prozent Beunruhigung; er kam der Sache näher.
»So etwas war es nicht«, sagte das Mädchen und zog endlich das Buch hervor. »Ich lese nur Belinda .«
»Ah, Belinda . Lass mal sehen.« Er nahm den Band und schlug die erste Seite auf. »Aber das ist doch nichts! Sie brauchen die Originalversion! Lucy heiratet einen afrikanischen Plantagenarbeiter und Belinda heiratet beinahe diesen Kreolen, den Typen aus der Karibik. Sehr skandalös. Der Vater der Autorin missbilligte es, daher hat sie es umgeschrieben.« Er gab das Buch zurück und lehnte sich wieder an den Baumstamm, während er dem Hund die Schnauze kraulte.
»Woher wissen Sie denn das?« Mrs Russells Augen waren immer größer geworden. »Und woher kennen Sie denn den Mönch ?«
»Ältere Schwestern.« Er verspürte den äußerst unangebrachten Impuls, ihr zuzuzwinkern, und unterdrückte ihn. »Als ich klein war, wurde meine Schwester Sophia mit einer Ausgabe erwischt und beinahe verstoßen. Da musste ich es natürlich lesen, versteht sich.« Und woher wissen Sie etwas davon? , hätte er zu gerne gefragt.
»Das dürfte das genaue Gegenteil dessen gewesen sein, was Ihre Eltern bezweckt haben.« Garantiert hätte sie sich jetzt entsetzlich gerade aufgesetzt, wenn sie nicht bereits kerzengerade wie eine Richterin dagesessen hätte, wie es ihre Angewohnheit war.
»Dann hätten sie mir interessanteren Lesestoff geben müssen.« Er zuckte mit den Schultern und fläzte sich noch tiefer ins Gras. »Als Damen haben Sie es viel besser als wir, mit Ihren Romanen.«
Diese Worte erinnerten die Witwe offenbar daran, dass Miss Everett zugegen war, und sie wandte sich wieder dem Mädchen zu. »Mrs Edgeworths Bücher sind zweifellos amüsant und unterhaltsam, und sie kann sich – wie alle Schriftstellerinnen – glücklich schätzen, eine unabhängige Einkommensquelle gefunden zu haben. Wenn Sie aber einen etwas ehrgeizigeren Roman lesen möchten, sollten Sie Waverley versuchen. Das Buch ist gerade diesen Sommer erschienen und hat ausgezeichnete Kritiken bekommen. Der Autor hat ein, wie ich glaube, sehr akkurates Bild vom Schottland des letzten Jahrhunderts gemalt. Ich könnte Ihnen mein Exemplar leihen.«
» Waverley «, wiederholte das Mädchen. Es versuchte ein Lächeln, sah aber ungefähr so enthusiastisch aus wie ein Dienstmädchen, dem aufgetragen wird, die Nachttöpfe zu schrubben. »Wovon handelt es?«
»Es ist eine wahre Geschichte, eine Erzählung aus jener Zeit, in der viele Schotten den Thronanspruch der Stuarts unterstützten. Vielleicht kennen Sie sich damit nicht so gut aus, Sie hatten ja nicht das Glück, zur Schule gehen zu dürfen. Aber Waverley ist ein Roman, der solche Bildungslücken auf dem Gebiet der englischen Geschichte schließen könnte, und durch die Entwicklung des Helden weg von sentimentalem Überschwang hin zu einem gemäßigteren, praktischen Weltbild transportiert er gleichzeitig eine wichtige Moral.«
Herrgott, bei ihr klang Waverley wie eine Fortsetzung zur Nützlichkeit landwirtschaftlichen Wissens . »Gibt es eine Liebesgeschichte?«, half er nach.
Sie zögerte auf ihre penible Art. »Ich schätze, ja. Mr Waverley entwickelt Zuneigung zu zwei verschiedenen jungen Frauen, die beide auf unterschiedliche Weise seiner würdig sind. Die eine soll, glaube ich, den radikalen Geist der Jakobiten symbolisieren, während die andere –
»Gibt es Schlachtszenen oder eine Queste? Riskiert Mr Waverley sein Leben für ein nobles Ideal?«
»Na ja, natürlich gibt es Schlachten. Es spielt während der Jakobitenaufstände, da geht es ja gar nicht anders, und der Autor scheint, wie gesagt, sehr akribisch zu sein, was historische Korrektheit betrifft.«
»Hervorragend.« Er nickte der Schäferin zu. »Sie scheinen eine ausdauernde Leserin zu sein. Sie müssen dieses Buch lesen und mir dann verraten, ob zwischen all den historisch korrekten und moralisch erhebenden Stellen eine gute Geschichte steckt. Ich fürchte, diese Werte sind wie Gift für mich – ich brauche erst einen Vorkoster, der für mich probiert und mir sagt, ob es ungefährlich ist.«
Er wusste sehr wohl, wie man Frauen um den Finger wickelte. Die meisten Frauen. Das Mädchen errötete anständig ob seiner Zuwendung und erklärte sich bereit, mit Waverley zu beginnen. Die
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