Ein unsittliches Angebot (German Edition)
Witwe, die anfangs die Stirn gerunzelt hatte, so als wolle sie ihn zurechtweisen, saß jetzt stumm und nachdenklich da.
Von da an verlief das Gespräch müheloser. Mrs Russell erwähnte den Grund ihres Kommens und breitete die Karte aus, um sich mit Miss Everett darüber zu beraten, inwiefern sie dem entsprach, was sie sahen, und welche Familien davon betroffen wären, sollte das Land nicht mehr zur Verfügung stehen.
Theo sank wieder gegen den Baumstamm, bis er beinahe auf dem Boden lag. Der Hund rollte sich auf den Rücken und sah ihn erwartungsvoll an. Abwesend kraulte Theo ihm den Bauch.
Er wollte nicht, dass irgendwelche Familien betroffen wären. Er wollte nicht, dass diese schüchterne kleine Leseratte darunter litt, dass er aufs Land gekommen war. Würde jedes Stück auf der Karte so aussehen? Steckte hinter der Tinte der sauber gezeichneten Darstellung immer nur eine Gelegenheit, Menschen zu enteignen, die nichts getan hatten, um so etwas zu verdienen? Und doch, wenn die Akquise von Land den Wohlstand Pencarraghs mehren und dazu führen konnte, dass seine Tagelöhner nicht mehr vom Armengeld abhingen, musste er den Schritt vermutlich in Betracht ziehen.
Stirnrunzelnd sah er den Hund an, der seinen Blick mit schläfriger Teilnahmslosigkeit erwiderte. Wie oft hatte er selbst so dreingeblickt, bevor er nach Sussex gekommen war und gelernt hatte, was Sorgen waren.
»Ihre Pächter müssen Sie sehr mögen«, sagte Martha, als sie sich von Jenny Everett verabschiedet hatten und in nördlicher Richtung über freies Weideland gingen.
Mr Mirkwood lachte humorlos. »So? Ich wünschte, jemand würde ihnen das mal sagen.« Unter freiem Himmel sah er ungewöhnlich gut aus; er bewegte sich mit dem Elan eines freigelassenen Tiers. Jenny war völlig hingerissen gewesen.
»Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Sie waren so gut eben mit Miss Everett. Sie wussten genau, was man sagen muss.«
»Das war nur geraten.« Er zuckte die Schultern.
»Die Fähigkeit, so mit ihr umzugehen, ist keine Selbstverständlichkeit. Wie ich, glaube ich, eben deutlich demonstriert habe.«
»Sie wirken in der Tat ein bisschen wie ein Drachen von Gouvernante.« Über die Schulter grinste er sie an und nahm den Worten jede kränkende Wirkung.
»Ich nehme an, das ist nicht verwunderlich. Ich wurde hauptsächlich von einer Gouvernante erzogen, auch wenn ich Miss York niemals als Drachen bezeichnen würde. Sie war eher vernünftig. Korrekt.« Streng auch, natürlich, aber nicht unverhältnismäßig.
»Tatsächlich?« Er verlangsamte seinen Schritt, sodass sie ihn einholte. »Wann haben Sie Ihre Mutter verloren?«
»Mit sieben. Aber sie war die ganzen sieben Jahre schon nicht gesund. Entweder erwartete sie eine Geburt, oder sie erholte sich von der letzten.« Die Worte kamen zögernd. So viele Einzelheiten musste man wirklich nicht preisgeben. »Es hätte nach mir noch drei Kinder geben sollen. Aber keins von ihnen hat überlebt, und das letzte hat sie mitgenommen.« Obwohl am Ende wahrhaftig nicht viel von ihr übrig gewesen war. Fünf lebende Kinder, fünf tote, und mit jeder Geburt und jedem Schicksalsschlag war sie schwächer geworden.
»Und Ihr Vater hat nicht wieder geheiratet?« Unter ihrer Krempe hindurch konnte sie seine weißen Handschuhe sehen, als er die Kartenrolle höher zog.
»Oh nein. Es war ein kleines Wunder, dass er überhaupt geheiratet hat, so zurückgezogen war er. Meistens hat er sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen mit seiner Bibel und seinen Philosophiebüchern.«
»Wer war denn dann da, um Sie zu lieben?« Die Frage kam ohne jedes Zögern, und er gab sich keine Mühe, das aufwallende Mitleid aus seiner Stimme herauszuhalten. Verschwendetes Mitleid, denn das kleine Mädchen, das sie damals gewesen war, hatte sie längst zurückgelassen.
Hinter dem Rücken legte sie die Hände übereinander und verschränkte fest die Finger. »Ich bezweifle nicht, dass meine Eltern mich geliebt haben. Meine Geschwister mögen mich auch. Und Miss York hat meine Erziehung recht fähig zuwege gebracht. Falls ich ein Drache geworden bin oder mich in Situation wie der, deren Zeuge Sie heute geworden sind, wenig geschmeidig verhalte, dann liegt die Schuld allein bei mir, will ich meinen.«
Sie schwiegen. Martha wagte nicht, ihn anzusehen und in seinen indiskreten Augen noch mehr Mitleid zu erkennen. Sie marschierte weiter, verschränkte ihre Finger und löste sie wieder, bis er erneut das Wort ergriff.
»Glauben Sie
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